„Wir haben gaaanz viel Gepäck. Bitte nicht erschrecken, wenn wir unsere Sachen jetzt reinschleppen. Und keine Sorge: wir ziehen in zwei Wochen wirklich wieder aus.“
Mit diesen Worten bereiten wir Senora Degrassi, die Vermieterin unseres Ferienzimmers, darauf vor, was passiert, wenn wir unser um die Ecke parkendes Auto ausräumen und die Sachen durchs Treppenhaus tragen. Um dann die ganze Fuhre in unserem neuen Trockendomizil in Grado abzulegen. Denn unser Kombi ist bis unters Dach brechend voll mit den notwendigen Dingen für fünf Monate. Das sind auch noch einige Lebensmittel, ein paar Haushaltsgeräte und nicht zuletzt unsere Foto- und Filmausrüstung.
Senora Degrassi lacht freundlich, freut sich und versteht nur Teile unserer Ankündigung. Sie kennt nur wenige deutsche Worte. Und wir können ihr das nicht in ihrer Muttersprache auf italienisch erklären. Also lächelt sie, winkt ständig mit den Worten „Si, si, si“ ab und folgt uns zum Auto. Aha, „gaaanz viel Gepäck“ hat sie also verstanden. Sie besteht darauf, möglichst viel Fracht und auch davon wieder die größten Taschen in ihre Hände gedrückt zu bekommen. Schon stiebt die kleine Frau flink wie ein Wiesel und schwer bebürdet davon. Selbst mit Gepäck beladen und mühsam ihr hinterherhechtend bekommen wir beinahe nur noch ihren schnell entschwindenden Schatten zu sehen. Flugs eilt die kleine Frau mit unserem Gepäck die Stufen im Haus hoch und ist schon wieder auf dem Rückweg, als wir am Fuß der Treppe ankommen.
„Vielen Dank, Senora Degrassi. Sie brauchen nicht mit tragen. Bitte nicht.“
Sie lacht wieder und denkt überhaupt nicht daran, sich bremsen zu lassen. Mit bereitgehaltenen leeren Händen wartet sie Sekunden später wieder neben unserem Auto und möchte beladen werden. Uns ist das unangenehm. Doch sie strahlt uns an.
Schließlich schafft Claudia es , ihr zu verständlich zu machen, dass wir keinen Lastenträger bräuchten. So viel Gepäck sei es jetzt schließlich nicht mehr.
Unser Zimmer ist nicht groß. Ein zweitüriger Kleiderschrank, Frisiertischchen mit Stuhl, ein kleiner runder Tisch mit zwei weiteren Stühlen und zwischen den beiden Nachtschränkchen steht das Doppelbett. Nachdem wir unsere Gepäckstücke verteilt und angeordnet haben, ist nicht mehr viel Zimmer übrig. Wir steigen über Taschen und Tüten, laufen Slalom bis zur Balkontür und setzen uns dort zum Ausruhen nieder. Wir schauen auf eine belebte Straße mit vielen Radfahrern und gelegentlichem Autoverkehr.
So schaut also unser neues Cockpit aus.
Am nächsten Morgen gehen wir einkaufen. Unser Zimmer ist mit Frühstück gemietet. Etwas Obst und Getränke wollen wir schon parat haben. Mit den vollen Tüten geht es wieder durch den Flur bei Senora Degrassi, die gerade beim Bügeln ist und ihr fröhliches „Ciao“ schmettert, als wir vorbeilaufen.
Im Zimmer stellen wir fest, dass wir kein Besteck und Geschirr haben. Ist ja alles auf dem Schiff geblieben. Claudia will runter etwas holen. Im Wörterbuch schaut sie nach:
Teller – piatto.
Gabel – forcella.
Sie spricht die Worte vor sich hin, geht zur Tür und dreht sich nochmals um: „Wie war Teller doch gleich?“
„Ich glaube Du hast piatto vorgelesen.“
Claudia ist besorgt, dass sie sich bei Senora Degrassi gut verständlich machen kann.
Sie kommt also Parterre bei der Senora an, tritt in den Türrahmen und möchte ihren neu erworbenen Wortschatz gerade loswerden, als Senora Degrassi freundlich aufblickt, mit ihrem Finger auf Claudia deutet und in ihrer ganz eigenen sympathischen Art mit einen Lachen sagt:
„Teller? Messer? Gabel?“
„Si“ freut sich Claudia und hat damit immerhin ein italienisches Wort in Anwendung gebracht.
Als Claudia mit dem Geschirr nach oben kommt und mir die Episode erzählt, denken wir uns so: wenn man bei einer Hellseherin untergebracht ist braucht man anscheinend keine Sprachkenntnisse.
Abends trinken wir neuerdings meist noch zusammen ein bis zwei Fläschchen Bier. Heute gibt es dunkles Bier aus Österreich. Claudia, die im Grunde keine Biertrinkerin ist, bekommt also auch ein Glas eingeschenkt. Sie beäugt es misstrauisch mit dem Kommentar:
„Sicher nichts für mich, zu bitter.“
Nippt den ersten kleinen Schluck mitsamt dem Schaum ab und:
„Oh, oooch. Das ist lecker. Das mag ich. Hat irgendwie einen Touch von Malzbier, Oder?“
Ja weiß ich doch noch nicht! So schnell kann ich das Getränk selbst gar nicht probieren, wie es meine Claudia abgescheckt hat und für sich als ihr mindestens heutiges Favoritengetränk einstuft. Denke ich so bei mir. Sie will von mir auch gar keine Antwort auf ihre Frage, hält mir erneut ihr Glas hin. Es fehlt urplötzlich mehr als nur der erste Testschluck.
„Schütt noch nach!“ lautet ihr Befehl.
Und schon trollt sie sich mit vollem Glas und ihrem Buch wieder auf ihr Lager zum Lesen. Nicht ohne zu resümieren: „Gut, dass es das Bier bei uns in Hessen nicht gibt. Sonst würde ich glatt öfter mal ein Bier trinken.“
„Tja, du kannst nicht alles haben.“ antworte ich und rette fix mein Glas mit dem verbliebenen Bier auf den Balkon, wo mein Laptop auf mich wartet.