Tagebuchblätter einer Kapitänsfrau aus der großen Zeit der Segelschifffahrt
Es ist wieder mal eine Freude, als Hobbysegler eine Schrift mit derart vielen seemännischen Begriffen zu lesen, diese entweder zu kennen oder voll Neugier herauszufinden und einzuordnen und somit sein Seemannswissen zu erweitern. Dieses war auch bereits ein schöner Aspekt der Geschichte um Frisco Kid von Jack London, worin ebenfalls eine der Lesefreuden eben diese Seemannssprache war. Genauso ist es auch hier für den nautisch interessierten Leser eine Wohltat. Das Buch empfiehlt sich damit beispielsweise für Sommer-Hobbysegler als eine schöne Herbst-/Winterlektüre.
Über sechs Jahre lang, von 1891 bis 1897, begleitete Eugenie Rosenberger ihren Mann, den Kapitän Georg Rosenberger, auf seinen Reisen mit dem Bremer Vollschiff REGULUS, die vor allem nach Ostasien führten.
Als Kapitänsfrau hat die Autorin offensichtlich keine zeitraubenden Pflichten bezüglich Fahrt und Reise. Das gibt ihr die Muße, andere Dinge genau zu betrachten, zu analysieren und uns in sprühender Vielfalt zu vorzustellen. Einem der diensttuenden Seeleute wäre dieses – selbst bei vorhandenen literarischen Fähigkeiten – sicher niemals gelungen. Schon allein deshalb nicht, weil er die Dinge an Bord und die damit verbundenen Vorgänge als so normal empfindet, dass sie nicht mit Worten gewürdigt werden müßten. Genau das macht den entscheidenden Unterschied aus, wenn eine “Landratte” (Entschuldigung liebe Eugenie ) all diese für sie unübliche Materie bestaunt und beschreibt.
So kann man sich das Beladen des Schiffes sowie die umgebene Szenerie in Birma wie in einem Drehbuch zu einem Film plastisch vorstellen:
Wir liegen hier dicht vor der Reismühle von A. & B., die den »Regulus« zu beladen hat, und so nah am Ufer, daß ein etwa 30 Fuß langer Steg vom Schiffe nach dem Lande gelegt wird, mit zwei dicken Stämmen links und rechts als Brüstung und so breit, daß eine Reihe Kulis mit ihren Reissäcken auf der einen Seite entlang traben kann, während sie auf der anderen leer zurück laufen. Die Kulis unterstehen einem ebenfalls dunklen »mistri«, der sie mit lautem Geschrei und drohenden Gebärden antreibt und in Ordnung hält. Das hatten wir nun beständig vor Augen und im Ohr. Die vorne offenen Reishallen, Godowns genannt, liegen an der Vorderseite der Gebäude, dem Flusse zugekehrt. An beiden Enden steht ein ganz kleines Haus, das eine bewohnt ein birmanischer Beamter des Geschäfts, das andere ist das Kontor des hiesigen Vertreters der Firma …
Und weiter beschreibt sie die Arbeiter ebenso plastisch:
Wir haben den ersten Reis im Schiff, 500 Sack. Es ist erstaunlich, wie diese kleinen, schlanken Leute, mit ihren feinen Händen und Füßen sich die 200 Pfund schweren Reissäcke spielend auf den Nacken wälzen und die Last im Laufschritt über den Steg bis an das schräge Brett tragen, auf dem sie in den Raum hinuntergleitet, wozu sie im Takte singen und rufen. Es ist die ärmste Kaste und sie gelten für unbegreiflich dumm und feig, aber sie haben zum Teil intelligente Gesichter und schöne Züge, schmücken Arme, Füße und Finger mit Ringen und um die Hüften tragen sie silberne Gürtel. Die intellektuell so viel höher stehenden Birmanen zeigen mongolischen Typus und sehen lange nicht so gut aus.
Auf dem Wege durch die Häfen und Städte lernen die Rosenbergers – sicher auch ihrem Stand als Kapitänsehepaar verdankt – eine Reihe weiterer interessanter Leute, kennen. Dies sind unter anderem Ausrüstungszulieferer und Logistikunternehmer (Beladen und Löschen der Waren). Diese Menschen entstammen verschiedener Kulturen und Länder, unter anderem oft auch wieder Europäer und Deutsche (also auch in Asien). Oder eben auch wieder weitere Kapitäne anderer Schiffe samt deren Frauen und Familien. Das Zusammentreffen mit diesen Menschen wird beschrieben, deren Benehmen, ihre Haltungen und Denkweisen – das natürlich nur soweit, wie es durch die Autorin erkennbar und überhaupt objektiv wiedergegeben werden kann.
Dabei streut Frau Rosenberger auch immer wieder kurze Erzählungen über Menschen ein, die vielleicht nicht unmittelbar in Beziehung zu ihr oder ihrem Kapitänsgatten standen, die jedoch in den besuchten Orten ihre Spuren hinterließen oder auf anderweitige Weise ein interessantes Leben aufzuweisen hatten. Dies macht das Buch nur interessanter. Wir als Leser träumen während der Lektüre von solchen Erlebnissen und Erfahrungen, die man auf eigenen Reisen zukünftig noch sammeln kann.
Witzig finde ich, dass das Rosenberger-Paar sich ebenfalls gegenseitig Bücher vorliest und sich darüber austauschen, so wie wir das auch tun .
Weniger witzig: zu dieser Zeit (die Fahrten fanden zwischen 1893-1898 statt) wurden gelegentlich auftauchende Haie vom Schiffe aus ohne Reue getötet und die Kadaver ohne Nutznehmung im Meere belassen, weil man diese Tiere zu dieser Zeit wohl einfach nur als schlecht ansah.
Claudias Fazit
Claudia hat natürlich ihre eigene Meinung zu dem Buch | |||||
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Fazit
Die Natur dieser Literatursparte ist das Wiedergeben von Reiseerlebnissen und Erzählungen, die sich nun eben an den besuchten Orten zutragen oder zutrugen. Es ist ja also keine künstlich aufgebaute Geschichte mit ausgearbeiteten Spannungsbogen, sondern es sind vielmehr aneinandergereihte Beobachtungen. Das wiederum ist Ursache für eine gewisse dramaturgische Schwäche: es kann ja nicht erwartet werden, dass sich ein spannender roter Faden durch das Buch zieht (wie in einer ausgedachten Geschichte, beispielsweise in einem Kriminalroman). Deshalb liest sich dieses Buch nicht so rasch wie eben ein Krimi. Es sind immer wieder Lesepausen nötig, um die vielen, oft unabhängig voneinander existierenden Themen und Erzählstränge zu verarbeiten.Im Rahmen dieser Beschränkungen halten Claudia und ich dieses Buch einstimmig für äußerst interessant (vor allem für Reiselustige) und allein schon deshalb für lesenswert. Manchmal waren die Sätze vielleicht etwas zu verschachtelt und bedurften unserer ganzen Aufmerksamkeit. Wir können unterm Strich jedoch sagen, dass das Buch mit einfallsreicher Ausdrucksweise und scharfsinniger Wortwahl geschrieben wurde, so dass der Intellekt des Lesers ebenso auf seine Kosten kommt.