Kampf eines alten Fischers um einen ungewöhnlich großen Marlin
Diese Entscheidung von Claudia war genau gut so: es ist tatsächlich vielleicht mehr ein Buch für Männer, vom Kampf gegen die Natur, von der Härte des Durchhaltens, vom unbedingten Willen zum Erfolg.
Doch der wichtigste Grund, solch ein Buch still für sich selbst zu lesen sind eher die leisen Töne. Wenn der Alte seinen Gedanken nachhängt oder in einem Selbstgespräch mit dem Fisch steht. Wenn er in seinen reflexiven Betrachtungen und dem Sinnieren alle seine Hüllen fallen läßt, wenn der Leser also beginnt, sich tief in den Alten hineinzuversetzen, ihn kennenlernt wie einen jahrelangen engen Freund. Dann, genau dann braucht der Leser seinen ureigenen Leserhythmus, will vielleicht nochmals einen Absatz zurückspringen und erneut lesen oder einfach die Worte des E. Hemingway langsam bis zu seinem Bauch vordringen lassen. Vorlesen geht dann gar nicht, das nähme einen den Genuss.
Von der Liebe und der Achtung
Ein Aspekt der Geschichte hat mir besonders gefallen: das Verhältnis zwischen dem Alten Santiago und dem Jungen Manolon. Eine Beziehung, von der beide profitieren. Der junge Manolon lernte von Santiago seit seinem Kinderalter von fünf Jahren alle Tricks und Kniffe der täglichen Arbeit des Fischens beigebracht, erwarb bei dem Alten darüber hinaus aber auch die soziale Caharktereigenschaften wie Treue, Kameradschaft, und Achtung vor Anderen. Der alte Santiago wiederum findet in dem Jungen eine große Hilfe beim Fischfang und allen Belangen da drum herum. Ja, der Junge kümmert sich jetzt, da er ca. fünfzehn (?) ist, rührend um den Alten wie um ein Familienmitglied. Er sorgt, dass er genug und regelmäßig isst und trinkt. Hemingway beschreibt hier in gewissen Sinne eine hochachtungsvolle Liebe (nicht sexuell!) zwischen alt und jung.
Blut, Schweiß und Tränen: vom Durchhalten bis zum Erfolg
Wenn es sich um einen Krimi handeln würde gibt es sicherlich Grenzen, über was man potentielle künftige Leser informieren sollte. Auch andere Romane leben oft von einer gewissen Spannung über den Ausgang der Geschichte. Bei Klassikern, und der vorliegende Band ist ganz sicher einer, tritt dieser Aspekt meiner Meinung nach mehr und mehr in den Hintergrund. Es geht dann eher um die Schöheit und vielleicht auch Genialität der Erzählkunst, um den Genuss an der Meisterschaft, die die Geschichte und den Künstler auszeichnen und dadurch eben das Buch zu einem Klassiker aufsteigen ließ. Man kennt die Handlung oft schon aus Unterhaltungen mit Freunden, aus Verfilmungen oder aus der Sekundärliteratur.Deswegen verweise ich hier ohne schlechtes Gewissen gegen meine Leser auf einen weiteren recht lesenswerten Artikel im Netz, der die Handlung in aller Kürze sehr gut beschreibt und dazu auch eine kleine Bewertung abgibt: Der alte Mann und das Meer • Zusammenfassung.
Umschlaggestaltung
Bei alter Literatur wie dieser greife ich gerne auf alte Übersetzungen zurück, also insbesondere aus einer Zeit, als beispielsweise das Wort Neger ganz sicher noch nicht mit dem komischen Bindestrichwort “N-Wort” umschrieben wurde. Dadurch bin ich in diesem Falle auf eine Ausgabe der DDR aus dem Jahre 1977 gestoßen. Das ist nicht schlimm, die Übersetzung durch Hemingway-Übersetzerin Annemarie Horschitz-Horst ist gelungen, ich fand sie jedenfalls recht glaubhaft. Doch was DDR-Verlage oftmals nicht konnten – oder steckt gar eine Absicht dahinter? – sind Coverbilder. Ich konnte noch nicht mal erkennen was da auf dem Titelbild abgebildet ist. Ein Hahn sei es (steht hinten im Impressum). Ich kann mir genauso wenig vorstellen, was dieses Motiv mit dem Buchinhalt gemein haben soll, geschweige denn, dass ich irgendwas Tolles an der künstlerischen Ausführung finden kann. Und wie gesagt – solche eher abschreckenden Buchcovers fand ich dazumal in den Buchhandlungen der DDR des Öfteren. Seltsam.Aus diesem Grund habe ich eine besondere Beziehung zu dieser Erzählung Hemingways, ja ich bin immer noch ein wenig stolz, wie ich über viele Tage mit dem Text “kämpfte” (ein wenig vergleichbar mit dem Alten und seinem Marlin), denn am nächsten Morgen musste ich ja früh wieder raus zur Arbeit.
Fazit
Mir gefiel die lange Erzählung sehr, handelt sie doch von tiefer Freundschaft, Mut und Durchhaltevermögen. Ob das Erlebnis nun letztlich als Erfolg oder Mißerfolg zu werten ist (da der erlegte Marlin vollständig von Haien weggefressen wurde), wird vielleicht jeder für sich selbst anders beantworten. Meiner Einschätzung nach ist es ein Erfolg, da der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt und der alte Mann am nächsten Tag mit geradem Rücken in den Spiegel schauen kann (besitzt er überhaupt einen Spiegel?).Mit wie viel Herz Ernest Hemingway die Geschichte aufschrieb, mag auch dieser eine Satz aus dem letzten Absatz der Geschichte verdeutlichen: