Roman, zweiter Teil der Neapel-Saga
Die buchbinderische Qualität des Buches, die Papier- und Druckqualität mitsamt seiner farblich angepassten Leseschnur und ab diesem zweiten Teil der Saga auch noch beigefügtem aufklappbaren Lesezeichen mit einer Liste der handelnden Personen macht dem Suhrkamp-Verlag wieder alle Ehre. Die Autorin selbst stellt dem Roman zudem (wie auch schon im ersten Teil Meine geniale Freundin) eine Liste der handelnden Personen mit jeweils kurzer Beschreibung auch deren Familien voran. Sehr nützlich .
Es geht in dieser Fortsetzung der Romanreihe wieder vornehmlich um die Entwicklung der beiden Freundinnen Lila (alias Lina) und Lenù (alias Lenuccia, alias Elena). Dieser zweite Band trägt den Untertitel Jugendjahre und widmet sich neben dem beruflichen Vorwärtskommen den Themen Liebe, Heirat, also den Beziehungen der jungen Frauen zu Männern.
Dabei kommen einige (italienische?) Klischees zum Einsatz, die hoffentlich heutzutage so nicht mehr zutreffen (wir schreiben im Buch den Anfang bis späte Mitte der 1960er Jahre): Männer verprügeln ihre Frauen, was offenbar als normal, also erwartbar, von allen Mädchen und Frauen hingenommen wird (ja selbst von deren jeweiligen Müttern). Ein Großteil der Männer in diesem Stadtviertel Neapels nehmen das ebenfalls so hin. Es ist sogar so, dass sie dieses Verhalten gegenüber ihren eigenen Frauen als von der Gesellschaft erwartet betrachten und dann also auch ausüben, um nicht als Schwächling dazustehen. Jeder spielt dementsprechend also seine ihm (vermeintlich) zugedachte Rolle.
Apropos Meer (wir rezensieren hier ja vor allem Bücher, in denen das Meer vorkommt): in diesem Band spielt ein längerer Sommerurlaub auf Ischia eine Rolle, der uns ein paar Inselstrände besuchen läßt und auch ein paar Mal das Bade- und Schwimmvergnügen im Meer erleben läßt. Leider gerade in dieser Urlaubssequenz finden wir die Stelle, wo das ansonsten bewegte Buch etwas langatmig wird. Aber wie wir alle wissen, geht ja jeder Urlaub einmal zu Ende und die Autorin nimmt anschließend das gewohnte Tempo wieder auf .
In diesem zweiten Band dieser Vierer-Romanreihe kommen wiederum viele Bücher vor, die von den beiden Hauptprotagonistinnen gelesen werden. Wie auch schon im ersten Band. Also geht es ebenfalls wieder um das Lesen, das Lernen, um Intelligenz, um das Emporwachsen aus dem Armeleute-Stadteil, der im Buch lediglich mit Rione (ital. für Stadtviertel) bezeichnet wird. Zumindest die beiden Hauptprotagonistinnen Lila und Lenù versuchen ihren Ausbruch auf diese Art.
Die jungen Männer des Stadtteils haben ihre eigene Methode: mit «eine-Hand-wäscht-die-andere»-Mafia-Methoden erreichen sie ihre (finanziellen) Ziele. Natürlich nur diejenigen Männer, die bereits etwas Wohlstand hatten (ererbt oder ergaunert) und darüberhinaus auch bereit sind, eine gewisse “Härte” gegenüber den Mitmenschen und Geschäftspartnern an den Tag zu legen (Stichwort Camorra).
Im Übrigen spürt der Leser in diesem Band einen Bruch zwischen Lila und Lenù. Ich möchte hier nicht allzu weit vorgreifen, doch soviel darf vielleicht verraten werden: Lila begibt sich durch ihre Heirat von der bisherigen Abhängigkeit von ihren Eltern in eine erneute Abhängigkeit. Gegenüber Lenùs Lebensweg, der ebenfalls zu mehr Wohlstand und heraus aus dem Rione führen soll, ruft dies ein völlig anderes Vorgehen hervor.
Diese Entfremdung zwischen den beiden jungen Frauen treibt Auswüchse, in deren Resultat Lenù ihrer (inzwischen in Anführungsstricheln zu schreibenden) “Freundin” ihre jahrelange Liebe zu einem jungen Mann opfert, ja, Lila sogar hilft, diesen zu erobern. An dieser Stelle konnte ich vorrübergehend gerade mal nicht mehr soviel Verständnis für Lenù aufbringen und überlegte zum ersten Male, ob die noch folgenden zwei Bände dieser Saga von mir wirklich noch gelesen werden sollten. – Dieser “Groll” legte sich nach ein paar Seiten jedoch wieder, die Geschichte der beiden Frauen in ihrem neapolitanischen Umfeld ist letztlich zu interessant aufbereitet und literarisch bestens umgesetzt.
So etwas wie ein Happy-End sucht man am Ende des Buches (wieder einmal) vergebens. Lenù bestreitet wirklich im Ausklang des Buches sogar ihren allerersten Literaturtreff in einer Mailänder Buchhandlung, in dem es um ihr eigenes Buch geht. Also so viel Erfolg konnte sie sich also bis dahin schon erarbeiten – ein eigenes Buch herausgegeben von einem renomierten Verlag! Vor lauter Aufregung und wohl auch, weil ein Teil der etwa 40 Zuhörer ihr nicht unbedingt nur positiv gesonnen war (oder auch gleichgültig), “verhaute” sie dieses Treffen ihrerseits. Das verstimmt ein wenig, doch macht diese Sache (wie auch so viele andere Stellen im Buch) die geschilderten Eriegnisse umso realistischer. Das Buch ist eben kein Wunschkonzert und auch kein Groschenroman. Wie verarbeitet Lenù diese Sitzung und kann sie ihren Start als Schriftstellerin weiterführen? – Und über die aktuellen Lebensumstände ihrer Freundin Lila erfahren wir kurz vor Ende des Buches auch noch Sachen, die uns nicht gefallen und die wir uns für unbedingt noch besser wünschen. Also ist jetzt unserer Interesse an der Lektüre des Folgebands Die Geschichte der getrennten Wege nur noch umso größer .
Claudias Fazit
Claudia hat natürlich ihre eigene Meinung zu dem Buch | |||||
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Fazit
Weiter oben kommt ja schon klar zum Ausdruck, dass ich beabsichtige, ebenfalls die weiteren zwei Bände zu lesen. Was kann ein Fazit mehr Positives aussagen? Speziell an diesem zweiten Band der Romanreihe gefällt mir neben der großen Kunst der Autorin Elena Ferrante besonders, dass harte Arbeit, kontinuierliches Lernen sichtbar zum Erfolg führen, wie die zielstrebige Lenù am Ende des Kapitel 80 für sich feststellen darf: