18. August 2024

Meine geniale Freundin

Elena Ferrante

Roman, erster Teil der Neapel-Saga

Wieder ein Buch, worüber ich eine ganze Menge Lob aus­schüt­ten will.

Die Handlung spielt im Neapel Ende der 1950er/Anfang 1960er Jahre, also in einer Zeit, in der die Familien und Sippen zusammenhalten (müssen). So unterstützt der nicht gerade wohlhabende Schuster nicht nur seine Familie mit mehreren Kindern finan­ziell, sondern noch gleich noch seine zwei un­ver­heira­teten Schwestern und auch die Eltern seiner Ehe­frau. Das ist selbst­verständlich, darüber verliert er kein einziges Wort, sondern schränkt stattdessen notgedrungen die geldkostenden Bildungsmöglichkeiten seiner intelligenten und lernbereiten Tochter ein, weil das Geld dafür eigentlich nicht mehr reicht. Sie darf nach der Grundschule nicht mehr eine weiterführende Schule besuchen.

Im Roman schauen wir den beiden Mädchen Lila (richtiger Name: Raffaella, auch Lina) und Lenù (richtiger Name: Lenuccia, auch Elena) zu, wie sie aufwachsen, wie sie dazulernen, und ihre Persönlichkeit formen (und geformt werden). Lila, der das Lernen und Verstehen in fast allen Dingen leichtfällt, und ihre Freundin Lenù, die Lila in nichts nachstehen will und mit hohem Lerneinsatz ihr erfolgreich nacheifert. Sie schaut sich bei Vorbildern wie eben ihrer Freundin Lila, aber auch bei ihren Lehrern Vorgehensweisen bewußt ab, die sie später im Leben selbst anwenden könnte, z.B. die gütliche Vermittlung bei Streits bei gleichzeitiger Wahrung einer eigenen (gegenteiligen) Meinung.

Viele Leser werden sich sicherlich in diesem Buch auf die eine oder Weise wiederfinden, insbesondere in Teilen aus ihrer eigenen Kindheit/Jugendzeit und dem Umgang mit Gleichaltrigen. Zumindest mir kam da Einiges bekannt vor (offene und versteckte Konkurrenzkämpfe unter Kindern zum Beispiel), wenngleich ich in einer anderen Zeit, in einem anderen Land und als Junge aufgewachsen bin.

Das Meer (wir rezensieren hier ja Bücher, die am Meer handeln) kommt erst ab Seite 262 (von 423) “zum Einsatz”. Dennoch gehört diese Rezension in unsere Rezensionsreihe über Bücher von Küsten, Inseln und Meer (und Exotik). Neapel liegt schließlich am Mittelmeer und Lenù macht eine (bedeutsame) Reise auf die Insel Ischia.

Schließlich stand ich wieder auf und tauchte meine Füße ins Wasser. Wie hatte es sein können, dass ich in einer Stadt wie Neapel wohnte, ohne jemals auf die Idee gekommen zu sein, im Meer zu baden?

Claudias Fazit
Claudia hat natürlich ihre eigene Meinung zu dem Buch
 

Tatsächlich hatte ich das Buch ein paar Jahre zuvor schon einmal gelesen, möchte jetzt jedoch noch die Fortsetzungsbände kennenlernen und lese das Buch deshalb zur Auffrischung noch einmal (gemeinsam mit Thomas).

Das Buch wurde in der «Ich»-Form verfasst, wobei die Erzählerin eine der Hauptprotagonistinnen, Elena (=Lenù) ist. Elena beschreibt in einer ausdrucksstarken Form die Beziehung zweier Freundinnen in einem Arbeiterviertel Neapels, in dem Armut und Brutalität zu Hause sind.

Beide Freundinnen sind auf ihre eigene Art jeweils etwas ganz Besonderes und doch sind sie grundverschieden. Die stärkste gemeinsame Kraft der beiden ist ihr Ehrgeiz zu lernen mit dem Wunsch, ihrer aggressiven und unzulänglichen Welt zu entfliehen. Dies führt, trotz der Freundschaft, zu einer unausgesprochenen Rivalität, die aus der Motivation entspringt, besser als die andere zu sein.

Elena allerdings vergöttert offen ihre Freundin Lila, der alles Wissen und Können offenbar von allein zufällt. Nachdem Lila, im Gegensatz zu Elena, die weitergehenden Schulen nicht mehr besuchen darf, liest sie und bildet sich eher im Verborgenen. Während Elena sich sich an andere anpasst, auch als die Hilfsbereite und Gute angesehen wird, zeigen sich bei Lila immer deutlicher rebellische Züge.

Meiner Meinung nach driftet Elena auf diese Weise immer mehr in eine Opferrolle, um von Lila anerkannt und gemocht zu werden. Lila hingegen zeigt niemanden, auch nicht Elena genüber, ihre Zuneigung. Sie gibt sich mitunter eher zynisch, manchmal sogar grausam gegenüber den Gefühlen anderer. Einzig und allein ihr älterer Bruder Rino wird offen von ihr vergöttert.

Mein Fazit: sehr spannend und sehr schön und einfühlsam geschrieben.

Fazit
Der zweite Teil dieser Neapel-Saga Die Geschichte eines neuen Namens steht bei uns bereits in den Startlöchern, d.h. ist schon bei der Bücherei entliehen, da wir nicht lange warten wollen, um zu erfahren, wie es mit den beiden Freundinnen weitergeht. Die Autorin Elena Ferrante hat das Ende zudem sehr geschickt gestaltet, so dass sich es nicht wirklich wie das Ende eines Romans anfühlt, sondern nur wie ein zu Ende gehendes Kapitel mitten im Leben, auf dessen Fortführung wir neugierig warten.