05. Juli 2024

Mit Blick aufs Meer

Elizabeth Strout

Weises und anrührendes Buch über die Natur des Menschen

Das Buch weckt mit seinem Pulitzerpreis-Hinweis gleich auf der Titelseite bei uns recht hohe Erwartungen (Der Pulitzerpreis wird an amerikanische Autoren verliehen, die sich vorzugsweise mit dem amerikanischen Leben befassen).

Im Roman geht es um das einfache Leben von ganz normalen Leuten, also wie du und ich. Deswegen passiert auf den ersten paar Dutzend Seiten schon mal nichts Spektakuläres, sondern wir lernen einen Apotheker kennen, der täglich zu seiner Arbeit fährt, Angestellte hat, die auch wiederum nicht spektakulär aussehen noch etwas Spektakuläres erleben. Die Autorin Elizabeth Strout versteht etwas von der Kunst, uns diese Personen nahezubringen, deren Alltag und auch deren Gedankengänge so zu beschreiben, das wir hin und wieder das Gefühl bekommen: ‘He, genauso habe ich schon gedacht’ oder ‘Ja, Ähnliches passierte mir auch schon mehrmals’. Ich glaube, viele von uns (Lesern) können sich mit einer oder mehreren Personen in dem Buch (die Autorin führt immer wieder neue Bewohner des fiktiven Ortes Crosby ein) ganz gut oder zumindest teilweise identifizieren.

Allerdings: auf Seite 4x angekommen haderten wir, ob wir das Buch weiterlesen sollen. Es gab zwar an diesem Punkt sogar schon Tote (durch Unfälle), also es “passierte” auch bereits etwas. Für die Betroffenen ein harter Verlust, die Autorin macht dies mit ihren Worten auch sehr gut nachfühlbar. Doch es schien uns (noch) zusammenhanglos, also irgendwie nicht entlang eines roten Fadens. Wenn das so weitergeht, so fragten wir uns, was mag da wohl noch auf den restlichen ca. 310 Seiten “Grossartiges” kommen? Sollten wir abbrechen mit dem Lesen (das haben wir ja auch hin und wieder auch gemacht)? Die Protagonisten zu durchschauen bzw. mit ihnen zu fühlen und Verständnis aufzubringen ist selbstverständlich schon eine anerkennenswerte literarische Leistung, doch müssen nach unserem Verständnis die Handlungen und Geschehnisse einer Geschichte/eines Romans irgendwie zur Weiterentwicklung der Geschichte wesentlich sein, also für den Aufbau der Handlung auch notwendig sein.

Ich sag’s jetzt deswegen lieber gleich: ja, es gibt einen roten Faden. Und das ist das Ehepaar Kitteridge, ganz besonders die Frau Olive Kitteridge (Olive Kitteridge ist übrigens auch der Buchtitel der amerikanischen Originalausgabe). Es ist zwar tatsächlich nicht jede beschriebene Episode in dem Ort Crosby für deren Entwicklung strikt notwendig. Doch wir merken bald, dass das wesentliche Ziel der Autorin das Menschliche der normalen Durchschnittsmenschen ist, deren “Sammeln von (Lebens-)Erfahrungen”. Es sind Menschen, die man nie im Fernsehen oder auf den Titelsseiten der (Fernseh-)Zeitschriften findet. Aber man findet sie sonstwo überall, vorzugsweise in der eigenen Nachbarschaft, im Umfeld des eigenen Arbeitslebens oder auch innerhalb der eigenen Familie. Vielleicht auch ein wenig in sich selbst .

Erfrischend
Im Roman gibt es unter anderem eine 22-jährige junge Frau, die nur einen Traum hatte:
“Emanzipation ist nichts für mich’, erklärte sie Henry. ”Ich will ein Haus haben und Betten machen.”
Der Leser dieser Rezension mag mich jetzt für einen Chauvinisten halten – das ist mir in diesem Falle (fast) egal. Doch es ist auch ein Teil meiner Lebenserfahrung, dass ich es mit zunehmendem Alter immer weniger für wichtiger oder gar sinnvoll(er) halte, wenn alle Menschen ihre (Arbeits-)Kraft möglichst in eine (externe) Beschäftigung stecken (zum Beispiel wie ich oft genug bei irgendwelchen Banken etc.). Glaubt mir, da kommt oft sowieso nicht so viel Sinnvolles oder Etwas von bleibenden Wert bei raus, besonders nicht für einen selbst. Denn es geht in der Wirtschaft heute leider oft nur darum: ”Wie komme ich an das Geld der Anderen?” – Nein, da ist die Familie meines Erachtens nach weit wichtiger.

Ebenso erfrischend finde ich dann folgerichtig diese kleine Passage:

“Nichts zählt im Leben mehr als Familie und Freunde”, schreibt sie in ihrer kleinen, ordentlichen Schrift. “Und ich bin mit beidem gesegnet.”

Was mir nicht so gefiel
Eine Frage wird für mich immer offenbleiben: hätte ich das Buch auch über die Seite 4x weiter bis zum Ende gelesen, wenn nicht bereits auf der Titelblatt/Umschlagsseite “Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis” gestanden hätte? E. Strout ist fraglos eine Koriphäe in Menschenbeobachtung und sie versteht es vorzüglich, diese Beobachtungen dann auch literarisch wiederzugeben.

Im folgenden Fazit wird klar, dass ich dann doch froh darüber bin, durchgehalten zu haben .

Fazit
Den meisten Menschen von uns, zumindest ab einem gereiften Alter, fällt es sicher leicht, durch die Kunst der Autorin am beschriebenen Geschehen teilzuhaben. Denn Vieles ist den meisten Menschen im Leben irgendwo oder irgendwie so oder ähnlich sicher schon mal zugestoßen oder man hat es zumindest irgendwie “angetroffen”. Das war auch der Grund, weshalb ich trotz aller Zweifel letztlich doch bis zum Schluss bei der Stange blieb: die Beschreibungen der Menschen und die wegen der sensiblen Erzählweise leichte Einfühlungsfähigkeit in die Protagonisten.

Ein wenig hielt mich zudem auch die geographische Umgebnung bei der Stange, der kleine Ort im Bundesstaat Maine an der USA-Ostküste, in dem der Roman spielt (wenngleich der Ort Crosby fiktiv ist). Ich fühle mich mit den Umgebungen in Büchern immer besonders angezogen, wenn ich schon mal dort war, wie wir eben auf unserer früheren Reise entlang der USA-Ostküste – vor inzwischen doch schon wieder einigen Jahren .

Jedenfalls erkennt man am Ende, das eine gewisse Milde gegenüber Anderen, aber auch gegen sich selbst im Leben durchaus angebracht ist und damit das Leben mit all seinen kleinen Dingen, die mitunter grossartig sind, umso lebenswerter wird. Doch warum muss man für diese Erkenntnis oft erst so viele Lebensjahre hinter sich bringen? Tja …

Claudias Fazit
Claudia hat natürlich ihre eigene Meinung zu dem Buch
 

Das Buch gefiel mir insgesamt recht gut. Der Schreibstil ist flüssig und sehr gut, auch bewies die Autorin stellenweise viel Humor.

Am Anfang störte es mich, dass die Autorin immer und immer wieder weitere Personen hinzunahm. Bis ich endlich mal verstand, dass es sich bei dem Roman eher um für sich stehende aneinander gereihte Geschichten handelt. Wie das Leben eben so ist. Einzig die Familie Kitteridge taucht immer wieder auf.

Am meisten schätzte ich die Abhandlungen über die Beziehungen innerhalb der Familien. Man hat die Gelegenheit, ganz privat hinter die Gardinen zu blicken. Und bei jeder weiteren Geschichte kann man glaubhaft nachvollziehen, dass sie sich genau so abgespielt haben könnte.

Die Essenz für mich ist, dass ich im Leben nicht vergesse, die Familie wertzuschätzen und dankbar zu sein, für das Geschenk, Ehefrau zu sein, Mutter zu sein und Oma. Für mich gibt es nichts Traurigeres, als alleine durchs Leben zu gehen. Wie wertvoll es doch ist, zu lieben, geliebt zu werden und gemeinsam das Leben zu teilen. In allen Facetten.

Wie lautet doch unser Abschluss bei allen unseren Travelfilmer-News? –

Bleibt in der Liebe.