27. Mai 2023

Rätsel Südsee / Im Zauber der Südsee

Jugendroman von Wilhelm Schreiner (1889-1943)

Deutsche Jungs auf Forscherfahrt

Rätsel Südsee war das erste Buch von Wilhelm Schreiner, welches ich erwarb. Allein der Titel des Buches und dazu auch das exotische Bild auf der Buch­vorder­seite waren aus­schlag­gebend für den Kauf: mehr Info über Autor oder Buch­titel fand ich im Internet nicht.

Vorneweg zur Klärung der zwei verschiedenen Buchtitel in der Überschrift. Es handelt sich jeweils um das gleiche Buch. Rätsel Südsee ist eine überarbeitete Auflage, die erst etwa 1941 als zweite Aulage im Verlag von J.G. Oncken Nachf., GmbH, Kassel herauskam. Die Drucklegung von Im Zauber der Südsee geschah bereits im Jahre 1924 vom K. Thienemanns Verlag in Stuttgart (zumindest besitze ich dieses Buch mit genau dem Erscheinungsjahr). Textlicher Unterschied zur späteren Auflage ist im Wesentlichen eine Art Prolog mit Titel «Die Ferne ruft …». In diesem Kapitel lernt Friedel Körner bei einem Schwimmwettbewerb zum Sonnenwendtreffen auf dem Greifenstein bei Wetzlar den späteren Freund und Kameraden Hartmut Stein kennen. Hartmut wird unter seinen Freunden »der Samoaner« genannt …. Diese Begegnung und weitere Textstellen dieses einleitenden Kapitels werden in der überarbeiteten Buchversion «Rätsel Südsee» anderswo eingearbeitet. Daneben fand ich noch weitere leichte Unterschiede im Text, die den sprachlichen Ausdruck betreffen, den Sinn jedoch nicht verändern. Im Wesentlichen verwendete Wilhelm Schreiner später etwas positivere Formulierungen.

Weiterhin unterscheiden sich die beiden Bücher in der Illustrierung: die 1924er Auflage besitzt schöne Farbbilder, vermutlich Aquarell. Das andere Buch kommt mit einer S/W-Zeichentechnik aus. In dem diesen Artikel hinterlegten Fotos könnt ihr die Bildunterschiede beispielhaft sehen.

Als inhaltliche Zusammenfassung, damit der Leser eine Vorstellung bekommt was ihn erwartet, möchte ich hier eine Textpassage aus dem abschließenden Kapitel «Hinweis» des vom selben Autor erschienen Buches Der Weg des Hartmut Stein anführen (um 1925):

Das Buch entrollt ein buntes, märchenhaftes Bild der Südseewelt. Die Weltreise der beiden jungen Deutschen, die es erzählt, führt durch gewaltiges Naturgeschehen sowohl in Samoa, als auch später auf deutschem Forschungsschiff. Besonders bereichert es aber durch die kernigen Menschen jungdeutscher Art, die hier zusammenwachsen. Es dient, gerade vor 1914 spielend, in gleichem Maß dem Wissen und Gewissen deutsch-christlicher Jugend.
Schreiner hat die immerhin seltende Fähigkeit, wirklich Geschehenes, ja, das Ereignis schlechthin, für den Leser erlebnisfroh ausdrücken zu können. Dass er dabei zugleich solche Szenen wählt, in denen irgendwie ethische Momente die tragende und stählenden Kräfte sind, darin liegt der eigentliche Wesenskern seines Schrifttums.

Ich selbst las letztlich Rätsel der Südsee, weil mir genau die ersten beiden Seiten so gut gefielen, dass sie bei mir auf der Stelle noch bereits vor der Buchlektüre weitere Antiquariats-Buchkäufe vom Autor Wilhelm Schreiner auslösten. Da der Autor bereits jenseits der 70 Jahre verstarb (Urheberrecht), erlaube ich mir, hier diesen Buchanfang zu veröffentlichen, damit sich der Leser vielleicht ebenso ein Bild zu machen vermag von dem, was mich so anzog:

Manche Leute meinen, was sich so die Geschichtenerzähler erdenken und hinhauen, das ist doch eine kunterbunte Angelegenheit, bei der man oft nur erstaunt sagen kann: “Nee, nee, was es nicht alles gibt!”
Aber glaubt man nur: das Leben ist noch viel bunter, als es sich einer erdenken kann.
Da war zum Beispiel die «Wairuna», ein nicht übertrieben sauberer englischer Frachtdampfer, der zwischen Sidney – Neuseeland – Tonga-Inseln – Pango-Pango – Apia – Neuguinea – Singapore hin und her zu pendeln pflegte. (Wer die Karte im Kopfe hat, braucht nicht erst nachzusehen.) Der Kapitän der «Wairuma» hat es sich sicher niemals träumen lassen, dass er 1917 mitten in der Südsee von einem deutschen Flugzeug gezwungen würde, sich mit Schiff und Fracht den Germans zu ergeben. Aber darüber steht des Näheren anderso zu lesen, und wir können uns jetzt nicht damit aufhalten.
Denn zur Zeit, wo unsere Geschichte beginnt, läuft die «Wairuna» bereits um die Ostspitze der deutschen Samoainsel Upolu und nimmt Kurs auf den Hafen Apia.
Wenn der Kapitän auf dieser Reise seine Einträge ins Logbuch macht, schreibt er “Februar 1914” darüber. Natürlich auch den genauen Tag; aber welchen er gerade heute morgen geschrieben hat, das weiß ich nicht mehr. Wichtiger ist es jedenfalls, dass in der Liste der Passagiere, die er an Bord unterbringen kann, seit Pango-Pango, dem letztangelaufenen amerikanischen Hafen der Samoagruppe, die Namen zweier deutscher Jungen stehen, deren Reiseziel eben Apia ist.
“Friedel Körner, Germany, Halle a.d.S,” steht da und “Horst Merten, Germany, Hamburg”. Und wie die beiden dahinkommen in die Südsee, das muss ich wohl doch schnell erzählen.
Es dauert ja auch noch eine Weile, bis die «Wairuna» nach Apia kommt; denn sie steckt ihre Nase bei steifem Wind und immer neuen über Deck peitschenden Regenböen tüchtig in die See und braucht allerhand Puste, um an der Nordküste entlang ihren Kurs zu halten. Zu sehen ist auch zurzeit noch nichts. Die Berge Samoas sind wolkenverhangen. Selbst die Küste bleibt hinter dem Schleier der Böen, mit denen die Regenzeit sich ergiebig verabschieden zu wollen scheint (hoffentlich tut sie’s auch), nur undenklich auszumachen.

Schön, nicht? – Soweit die ersten eineinhalb Seiten des ersten Kapitels, die ich als so frisch und unbefangen fand, dass ich das Buch unbedingt als nächstes lesen wollte.

Ganz wesentlich halte ich es zu betonen, dass es sich bei diesem Buch um sogenannte «Jungensliteratur» handelt, also um ein Jugendbuch insbesondere für Jungen (besser: werdende Männer). Des Autors Absichten werden im Text leicht offenbar:

  • wecken der Neugier von jungen Menschen auf bestimmte (wissenschaftliche) Themen
  • Eingliederung in ein Team und gewissenhafte Erfüllung gestellter Aufgaben (siehe Prof. Körners an die beiden Jungen gestellte Aufgabe und die gewissenhafte Arbeit der Jungen an der Lösung/Erfüllung)
  • vermitteln von Werten, die als positiv und somit erstrebenswert gelten:
    • Freundschaft, Kameradschaft und Gemeinschaftsgeist
    • Verlässlichkeit
    • Aufrichtigkeit
    • Geradlinigkeit
    • Willenskraft/Willensstärke
    • Stolz, aber auch Fröhlichkeit
  • auch deutscher Nationalstolz und die Liebe und Treue zum Vaterland wird uns nahegelegt
  • und und und …

Oder auch der Respekt gegenüber der Erfahrung der Alten ist eine der Tugenden, wie bereits in der Innenseite des Schutzumschlags angekündigt wird:

… im Gespräch mit Pidder Karsten, diesem derben, ehrlichen Seemann, der ihnen manch wertvolles Wort zu sagen hat.

Diese Charakterformung und -festigung wird vielfach durch die Schaffung von Vorbildern erreicht, z.B. in Persona durch Reinhard Stein und seine Frau Herta, aber auch durch positive Resultate und Erfolge, die die beiden Hauptprotagonisten, die Jungen Friedel und Horst, damit erzielen.

Im Buch besuchte Inseln/Orte

Insel Upolu (gehört zu Samoa), Insel Manono (kleines Inselchen westlich von Upolu), Insel Nulopa – (kleines Inselchen westlich von Manono), Tofua (=Tafua) – ein aktiver Schlackenkegel im Distrikt A’ana der Insel Upolu in Samoa, Pango-Pango (=Pago-Pago) – territoriale Hauptstadt von Amerikanisch-Samoa, Insel Savai (gehört zu Samoa), Mangaia – die zweitgr&oouml;ßte der südpazifischen Cookinseln, Laguneninsel Narurotu – gehört (wahrscheinlich) zum Atoll Tubuai – dieses wiederum zu den zu Französisch-Polynesien gehörenden Austral-Inseln, Rapa Iti, Rapa Nui (=Osterinsel), Valparaíso

Einordnung in die Zeit/Epoche und politische Dimension

Die Geschehnisse des Buches starten 1913 und enden im Juni 1914. Die Erlebnisse und Erfahrungen der beiden Jungen in der Südsee haben wenig mit Politik zu tun, sieht man davon ab, dass der Autor unübersehbar den Nationalstolz herausstreicht. Auf Seite 223 im Angesichte der deutschen Kolonie in der chilenischen Küstenstadt Valparaíso wird Wilhelm Schreiner dann jedoch deutlicher:
In der Hauptstadt Chiles [gemeint ist Santiago de Chile, Anm. Thomas] schien der deutsche Name überhaupt einen guten Klang zu haben. – Nicht überall hatten die Freunde dies gefunden. Die Erfahrungen, die sie einst auf ihrer Fahrt durch Nordamerika am Anfang ihrer Reise und danach an Bord der «Wairuna» gemacht, zeigen deutlich genug, dass namentlich die angelsächsische Welt mit Neid, ja Groll das Emporkommen Deutschlands und damit sozusagen das Erscheinen jedes Deutschen in der Welt draußen betrachtete.
Und ein paar Zeilen weiter läßt der Autor seine Romanfigur Dr. Hell folgendes ausführen:
Mit dem Unvermögen, unsere deutsche Art aus deutscher Geschichte heraus zu verstehen, verbinde sich wirtschaftlicher Neid angesichts der Entwicklung Deutschlands zur Weltmacht und habe unter der Führung Englands zu einer politischen Einkreisung geführt, die nur ein Ziel kenne: die Drosselung des deutschen Einflusses in der ganzen Welt und die Ausschaltung unbequemer Handelskonkurrenz.
Das kann man so hinnehmen oder nicht. Mancher wird möglicherweise finden, dass diese Textpassage auch aus einem ganz aktuellen Aufsatz stammen könne.

Gegen Ende des Buches, das Forschungsschiff «Pinguin» ist bereits auf dem Heimweg durch den Atlantik nach Deutschland, geschieht das Attentat von Sarajewo. Dieses letzte Kapitel heißt «Es kommt Sturm» und bezieht sich auf einen schweren Sturm, den die «Pinguin» noch im Atlantik zu durchkämpfen hat. Doch der Kapitelname ist absichtlich zweideutig: er meint gleichzeitig einen möglicherweise bevorstehenden Waffengang. Dieser Krieg heißt heute in unserem Sprachgebrauch 1.Weltkrieg. Zum Glück endet hier das Buch: Krieg ist nicht gerade mein Lieblingslesethema.

Fazit

W. Schreiner erzählt spannend, mit reichhaltiger Sprache und in farbigen Worten. Dass er insbesondere auch das Deutsche in diesem Buch positiv hervorhebt, stört mich nicht (Samoa ist deutsche Kolonnie, Stolz auf das deutsche Feinwerkhandwerk, positive Erwähnung der Deutschen beim Aufenthalt in Valparaiso/Chile, …). Im Gegenteil: immerhin wird unser Volk sonst in aktuellen Schriften diesbezüglich nicht gerade verwöhnt.

Wie ich häufig bei älteren Autoren feststellte, wurde auch in diese Geschichte mit lehrreichen Darstellungen angereichert, was in moderner Literatur häufig weggelassen oder abgekürzt wird. Wahrscheinlich hat das mit der damaligen Zeit zu tun: Fernsehen und selbst Radio gab es noch nicht, große Reisen unternahm vor mehr als 100 Jahren auch kaum einer. Also liefern die Buchautoren von den Dingen genaue Beschreibungen: von (Arbeits-)Vorgängen, von Gerätschaften und selbstverständlich auch von den Umgebungen.

Ich finde es ist ein sehr schönes Buch, dass neben der Beschreibung der Südsee und den Abenteuern der beiden Jungen vor allem auch Stellung bezieht zu unseren Werten und auch zum Deutschsein – welches hier eben keine Schande bedeutet. Gerade heutzutage tut eine solch klare Stellungnahme sehr gut. Ich werde nach diesem ersten Buch von W. Schreiner (“erstes” – abgesehen von dem Heftchen «Pioniere») weitere Bücher von ihm lesen und diesen Band «Rätsel Südsee» auf keinen Fall zum Verkauf in ein Buchantiquariat zurückgeben.