Eine ungewöhnliche Ehe in Tagebüchern und Briefen
Vorneweg: das Buch kommt in einem stabilen Kartonschuber daher und die ganze Aufmachung ist einfach Klasse und läßt mich schon bem Anschauen, beim Anfassen, beim Herausnehmen fühlen, dass ich etwas ganz Besonderes in den Händen halte.
Und in der Tat: die Texte stammen noch aus einer Zeit, als noch nicht so viele (digitale) Worte aufgeschrieben wurden. Und diese Worte vom Schreiber allein schon deshalb mit Sorgfalt ausgewählt wurden und dann mit Bedacht niedergeschrieben wurden. Schon dass allein rechtfertigt für mich den hohen Preis des Buches (34,- Euro) voll und ganz. Doch es kommt noch besser.
Es ist jetzt Ende Januar 2022 und wir haben das Buch noch nicht zu Ende gelesen. Wir sind sogar erst auf Seite 111 von 382 Seiten. Doch es gefällt uns so gut und mich juckt es in den Fingern, darüber schon jetzt zu referieren. [Anmerkung 18.02.2022: zwischendurch habe ich diese Rezenion dann noch vervollständigt.]
Meist besteht der Text aus Tagebuchaufzeichnungen von Fanny, der Ehefrau von Robert Louis Stevenson. Zwischendurch werden entsprechend ihrer chronologischen Reihenfolge auch Aufzeichnungen von Robert Louis eingefügt. Doch tatsächlich ist seine kluge Frau genau wie er in der Lage, Geschichten zu erzählen.
Fanny kümmert sich auf ihrer Farm «Vailima» auf der ostsamoanischen Südseeinsel Upolu besonders um das Anwesen, die Pflanzungen, die Bediensteten und Helfer und was sonst so alles in diesem Zusammenhang anfällt. Louis, der zu dieser Zeit schon sehr berühmte Schriftsteller (die Handlung spielt von 1890-94), schaut ebenfalls nach der Farm. Doch im Wesentlichen hält Fanny ihm für seine schriftstellerische Arbeit den Rücken frei. Zudem ist die Gesundheit R.L. Stevensons durch sein Tuberkuloseleiden stark eingeschränkt.
Was ist nun das Besondere an diesem Buch? – Nun, Fanny ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls eine sehr gute Schreiberin. Durch ihre Tagebücher und einige Briefe etc. erhalten wir ein wahrscheinlich realistisches Bild von ihrer Ankunft auf Samoa, von der Errichtung ihrer Farm «Vailima», von den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhätnissen zu dieser Zeit.
Interessant ist das oft vorherrschende Verständnis vieler Einheimischer, jemand solle/müsse sich um sie kümmern. So passiert es immer wieder mal, dass ein Einheimischer in die Stevenson-Familie aufgenommen werden möchte. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass er Arbeit erhält, Entlohnung sowie Kost und Logie auf Vailima. Besonders interessant ist folgende Passage, die von einem Dieb handelt, der 70 Dollar gestohlen hatte und gefasst wurde:
Der Polizist sagte, er habe den Mann gefasst und er habe kein Geld mehr gehabt. Er habe ihn um Gnade angefleht, er sei ohne Vater und ohne Mutter [Anmerkung von Thomas: eine bei fast allen immer wieder auftauchende Aussage], und darauf gedrungen, dass der Polizist ihn adoptiere. Was auch geschah.
Fanny schreibt dann ein paar Zeilen weiter unten dazu:
Ich frage mich, was ein Polizist in London dazu sagen würde, wenn nach Ergreifen eines Diebes der gewitzte Herr versucht, sich mit dem Vorschlag einer Adoption aus der Affäre zu ziehen.
Und das fragen wir uns allerdings auch.
Wie gelingt der Aufbau einer Farm auf einer Südseeeinsel (zu dieser Zeit)? Extrem realitätsnah geschildert erfahren wir von den Problemen bei den Pflanzungen, dem Wetter, den Schwierigkeiten mit Nachbarn, mit den Arbeitern und Helfern (meist Einheimische). Fanny beschreibt viele Fehlschläge. Zum Beispiel wieviele Pflanzen immer wieder eingehen, verfaulen, von Ratten oder Insekten gefressen werden. Wie oft Hütten oder Teile davon und Zäne wieder umfallen. Wie sie die Arbeiter ständig überwachen muss. Oder wie viel und was alles immer wieder gestohlen wird, von Gurten und Zaumzeug über Werkzeuge bis hin zu einer fetten Sau.
Während Claudia immer wieder mal betont, wie schwer doch damals der Neuanfang der Stevensons auf der Insel war, begeistert mich eher, dass die zwei überhaupt so weit ihrer Heimat (Schottland bzw. Illinois/USA für Fanny) auf einer “idyllischen” tropischen Insel ihr Leben einrichten. Claudia mag bei den Schwierigkeiten in der Südsee ja denken, wie schön leicht und gemütlich wir es hier bei uns haben. Ich jedoch ertappe mich ab und an, wie ich zwischen den Zeilen abschweife und von einem Südseeleben träume. Wenn das sehr wahrscheinlich auch immer einer meiner Träume bleiben wird, schafft es Fanny Stevenson immerhin, dass ich mich ganz genau da einfühlen kann und mich dann sogar noch dahinwünsche. Mehr kann man doch von so einer Art Literatur nicht verlangen, oder?
Beziehung Louis – Fanny
Das Buch bekam vom Verlag ja den Untertitel «Eine ungewöhnliche Ehe in Tagebüchern und Briefen». Nun, Fanny schreibt in ihrem Tagebuch bestenfalls zwischen den Zahlen etwas darüber. Überhaupt gehört sie bei aller ihrer Schreibkunst dennoch nicht zu den Menschen, die ihre (tiefsten) Gefühle allzu leicht dem Papier anvertrauen. Wenigstens ist sie im dritten Teil (Krieg) auch einmal «wütend», was man endlich mal als Gefühlsäußerung ihrerseits werten kann. Doch bei dieser Wut geht es um den Krieg, weniger um Louis.
Wollte man also mehr über das Verhältnis der beiden Eheleute erfahren (man weiß, dass es nicht immer einfach war), muss man weitere Literatur bemühen. Das Buch wird hier seinem eigenen Untertitel nach meinem und Claudias Dafürhalten nicht gerecht.
Was nicht so schön war
In dem Buch bzw. den Tagebüchern und Briefen geht es viel um Politik, ja sogar um Krieg auf den samoanischen Inseln. Weder mir noch Claudia sind allein aus den Texten jedoch die politischen Machtverhältnisse richtig klar geworden (die Deutschen, Rolle der Engländer, wie stehen amerikaische Staatsbürger auf der Insel da usw.). Weder Fanny noch Louis äußern sich aufklärend dazu, man bekommt es immer nur so bruchstückhaft mit, anhand einzelner Episoden.
Vielleicht war es aber auch so, dass die ganz genauen Verhältnisse auch den beiden nicht immer 100%ig klar waren. Nehmen wir nur mal folgende Passage von Fannys Tagebuch, aus dem dritten Teil, Seite 304/305 (das Buch ist in vier Teile gegliedert). Der dritte Teil trägt die Überschrift: Abgetrennte Köpfe und viele Tote, Krieg, August 1892-September 1893. Fanny fragt:
«… Und ich möchte gern wissen, wessen Krieg das überhaupt ist. Ich möchte wissen, wer dafür dafür verantwortlich ist, wenn jemandem aus meiner Familie etwas zustößt. Ist das Ihr Krieg?»
«Nein» sagte Maben,«mein Krieg ist das nicht.»
«Dann ist es der Kieg der drei Konsuln?»
Hier versuchte Maben das Thema zu wechseln. Wahrhaftig, es ist der Krieg der drei Konsuln, …
Die drei Konsuln kommen in dem Buch bis dahin kaum vor. Leider haben es der Übersetzer und der Verlag versäumt, uns darüber genauer aufzuklären. Gelegenheit dazu hätte es in der Einführung eines jeden der vier Teile gegeben, welche vom Übersetzer (?) – jedenfalls nicht von Fanny oder Louis – stammte.
Ich habe an anderer Stelle im Web eine Erklärung gefunden, die ich hier teilen möchte:
Quelle: https://ewnor.de/wak/1096_wak.php?page=27
Fazit
Am Ende des Buches müssen wir sagen, das Buch bleibt bruchstückhaft. Die politischen Zusammenhänge erschließen sich uns nicht nur allein durch die Buchlektüre. Ebenso verwirren die vielen Charaktere, die plötzlich auftauchen: doch das mag dem Tagebuchcharakter geschuldet sein und ist letztlich verzeihlich. Einen in sich geschlossenen Roman darf man nicht erwarten.Dennoch kann ich sagen: ja, ein Buch kann etwas sehr Wertvolles sein. Dieses hier ist es ganz sicher. Für mich (Thomas) ist es das schon deshalb, weil es eine exzellente Beschreibung des Charakters der Südseeinsel als auch seiner Einwohner darstellt. Wen dazu noch das Leben des Schriftstellers Stevenson interessiert, für den ist es ein wunderbarer Ausgangspunkt zu weiterer Literatur diesbezüglich. Südseejahre regt die Neugier des interessierten Lesers ganz sicher dazu an.
Weitere interessante Literatur hierzu:
- Robert Louis Stevenson, Michael Reinbold: Stevenson Biografie vom rororo-Verlag (ISBN 3-499-50488-X). Wir erfahren hier Informationen über das Samoa der damiligen Zeit, über die politischen Verhältnisse, die uns im Südseejahre-Buch nicht immer ganz durchsichtig erschienen, finden auch eine Reihe Fotos aus der Zeit. Denn das Südseejahre-Buch hat uns Appetetit auf mehr Information über die Stevensons und ihre Zeit gemacht .
-
Kanaken, Kannibalen, mein Opa und ich, von Walter Kelle:
Anmerkungen aus heutiger Sicht zum Tagebuch des Matrosen Karl-Friedrich Hermann Weichert (* 9. April 1876 – †23. Mai 1941) am Ende des 19. Jahrhunderts. Der Autor erbt ein Tagebuch …
Innerhalb des Tagebuchs wiederum besonders die Samoa-Kapitel: - Geschichte Samoas, ein Artikel aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie