Hymne auf das Leben und die Freundschaft
Das Buch ist keine leichte Sommerkost. Eher philosophisch, nachdenklich. Man liest es nicht einfach so runter, sondern muss langsam lesen und immer wieder mal nach einem Absatz innehalten und das Geschriebene Revue passieren lassen.
Alles, was auf der im Buch geschilderten Reise entlang der Kalifornischen Golfküste angetroffen wird oder auch nur, worüber nachgedacht und philosophiert wird, ist wichtig und wertvoll. Der Autor beschreibt die Dinge, Vorgehensweisen oder auch abstrakte Sachen so schön, wie man sie niemals sehen könnte (selbst wenn man ein Foto davon hätte). Steinbeck versteht es hervorragend, Dinge so klar und präzise zu beschreiben und in den Ablauf der Reisebeschreibung einzubauen, dass wir uns immer mitgenommen gefühlt haben.
Nehmen wir zum Beispiel die Beschreibung einer Madonnenstatue aus Holz und Gips in einer kleinen Kirche im kleinen Ort Loreto. Er beschreibt die sicherlich nicht kunsthistorisch hochstehende Holzfigur in einem hell glänzendem Licht. Der Leser erfühlt so ganz genau die unermessliche Bedeutung dieses Abbildes der Mutter Gottes, die sie für die Bewohner des Städtchens hat (Kapitel siebzehn). Die Wahl seiner Worte ist stets ein großes Vergnügen.
Von den beteiligten Personen der Reise kommt niemand schlecht weg. Das Gleiche gilt ebenso für alle Menschen, welche die Besatzung unterwegs trifft. Steinbecks Respekt vor den Menschen springt auf den Leser über. Sogar Dinge werden durch Steinbeck häufig vermenschlicht und erlangen dadurch ebenso den verständnisvollen Respekt des Lesers. Selbst die zuverlässig einsetzende Unzuverlässigkeit des beinahe stets streikenden Außenbordmotor “Seekuh” wird menschlich nachsichtig geschildert. Diese Vermenschlichung von Dingen (sie erhalten Persönlichkeit und Charakter) ist eine der vielen humorvollen Facetten im Schreibstil dieses Ausnahmeschriftstellers.
Wir haben den Eindruck, Steinbeck schärft durch seine genauen Schilderungen und die dadurch nötige Aufarbeitung von Geschehnissen seinen Verstand und sowie seine eigene Beobachtungsgabe – und damit gleichsam die des interessierten Lesers.
Es ist das zweite Buch von John Steinbeck in unserer “Leserreihe”. Zuerst lasen wir Die Straße der Ölsardinen, welches die gleiche Intelligenz des Autors zeigt, jedoch als vergnüglicher Roman völlig anders geschrieben ist. Das vorliegende Buch dagegen ist eher eine Komposition aus Philosophie, Biologie und Meereskunde vermischt mit Anekdoten, die sich während des wissenschaftlichen Sammelns und Präperierens der Wassertiere in den Gezeitentümpeln des Golfs von Kalifornien abspielten.
Besonders schön empfinden wir die Hommage Steinbecks an seinen Freund Ed Ricketts, dem “Doc”, der bereits in der genannten Die Straße der Ölsardinen eine zentrale Rolle spielt. Claudias Kommentar beim Lesen der ungefähr 60 Seiten, die diese Ehrenbezeugung beansprucht: “Ich glaube, kein anderer ;Mensch hat jemals eine so schöne Freundschafts- und Ehrenbezeugung bekommen wie Ed Ricketts hier durch John Steinbeck.“
Sehr gefällt uns auch diese wiederum beeindruckend gestaltete Ausgabe des Buches durch den mare-Verlag. Der Pappschuber und der hervorragend gesetzte Schriftsatz zusammen mit dem hochwertigen Papier erzeugen eine vortreffliche Haptik, die mir ein ganz besonderes Lesevergnügen über den reinen Text hinaus bescheren. Danke, Claudia, für dieses Geburtstagsgeschenk an mich!
Weitere interessante Bücher hierzu:
- Die Straße der Ölsardinen, John Steinbeck
- Die Reise mit Charley, John Steinbeck