28. November 2022

Vier Mädchen im Schicksalswind

Jugendroman von Alma M. Karlin (1889-1950)

Eine Südseegeschichte

Gleich vorneweg ein großes Lob: es war unser erstes Buch von Alma M. Karlin und einhellig waren Claudia und ich anschließend der Meinung: von dieser Autorin wollen und werden wir noch mehr lesen.

Unsere Buch­ausgabe stammt ungefähr aus dem Jahre 1955 (Erst­erscheinung des Romans war 1936) und bekam mit der aquarellierten Feder­zeichnung einen sehr ansprechend gestalteten Bucheinband. Innen finden sich weitere Feder­zeichnungen von Klaus Gelbhaar (1920-2007), die das Buch illustrieren. Damit stellt sich das Buch als Kinder- oder besser Jugendbuch heraus.

Die Autorin verfolgt mit Bravour mindestens zwei Ziele: die Hauptrolle spielen die unter­schiedlichen Lebens­träume der vier Mädchen, die sich auf der Süd­seeinsel Vanikoro (Salomonen-Gruppe bzw. Santa Cruz-Islands) zum ersten Male begegnen. Es geht darum, auf welche Weise sich diese Erwartungen erfüllen.

Das zweite Ziel ist ganz klar die Vorstellung der Südsee­inseln, deren Bewohner, das vor­herrschende Klima und Wetter, die Natur, der “grausame Zauber der Tropen”, wie sie es selbst nennt. Krankheiten, die die Einheimischen und erst recht uns Europäer oft und schnell treffen können, spielen eine Rolle. Es gelingt Alma Karlin hervorragend dennoch die lockende Exotik einzufangen und an dem geneigten Leser zu übermitteln.

Exzellent ist ihre Darstellung der vier Haupt­protagonistinnen. Wir erfahren von deren Träumen, aber auch von deren demütigen Haltung gegenüber den verschieden Umständen und Traditonen, in die sie hineingeboren wurden. Es sind die deutsche Erika, die australische Elisabeth (deren Eltern allerdings von Deutschland stammen), das chinesische Mädchen Kun Dui und die Einheimische Naviti (oft umschrieben als das “Inselkind” oder “Südseekind”). Die vier 17-jährigen Mädchen werden alle ihren Platz im Leben finden, den sie mit Hingabe ausfüllen werden.

Was nicht so schön war

Wir haben da nichts finden können . Im Gegenteil: Das Buch dürfte so um 1928 bis 1936 entstanden sein (nachdem Alma M. Karlin von ihrer Weltumrundung zurückkehrte). Damals gab es noch keine vorgeschriebene Sprache: wenn die Autorin die Eingeborenen mit Negern vergleicht, um deren Aussehen zu charakterisieren, dann vergleicht sie sie eben mit Negern (und nicht mit Schorn­stein­fegern). Der Leser erhält also eine genauestmögliche Vorstellung von allem.

Und wenn Beß (=Elisabeth) eben vom Arzt Dr. Lever als “Sindbad der Seefahrer” betitelt wird, dann bringt genau diese exakte Sprache rüber, was und wie das gemeint ist: voller liebe­voller Anerkennung. Für den unvorein­genommenen Leser ist das herzerfrischend.

Fazit

Neben den wundervollen Südsee-Insel-Beschreibungen, aber erst recht wegen der gekonnten Gewichtung von Wichtigem und weniger Wichtigem halten wir Alma M. Karlin für eine der ganz Großen der deutsch­sprachigen Abenteuer- und Reise­literatur des letzten Jahrhunderts. Wenn es um die Darstellung des Seelen­lebens, der Gefühle, der Bewegtheit der Mädchen geht, dann nimmt sich der Text die benötigte Zeit. Geht es dann um sich daraus ergebende Handlungen – wie zum Beispiel eine Hochzeit – dann kann diese durchaus in einem der Folgesätze einfließen und: fertig, Punkt. Der Gemüts- und Seelen­zustand in diesem Zusammenhang wurde ja bereits als entscheidender Teil des Textes dargelegt. Und das meist brilliant.

Vier Mädchen im Schicksalswind wird eines der Bücher, die ich nicht wieder dem Gebraucht­bücher­markt übergebe. Allein wegen der Sprache und der gekonnten Ausdrucks­weise der Schrift­stellerin gehört das Buch ab jetzt zu meinem festen Bücherbestand.

Claudias Fazit
Claudia hat natürlich ihre eigene Meinung zu dem Buch 🙂
 

Klappentext innen: Nach Vanikoro, der idyllischen Südseeinsel weht er, der Schickalswind. Drei junge Mädchen führt er zu einem innigen Freundschaftsbund zusammen. Die deutsche Erika, die Australierin Beß und die Chinesin Kun Dui …

Ein wundervolles Buch mit viel Einfühlungsvermögen geschrieben. Die Autorin beschreibt in ganz poetischen Formulierungen die vier Freundinnen, jede mit einer ganz anderen Kultur. Mir gefällt, wie sie die Unterschiede auf nachvollziehbare und ehrliche Weise beschreibt.

Zuerst mal zu Erika, der Deutschen, die sich stark zu einer dichterischen Weise als Autorin berufen fühlt. Sie ist diejenige, die an jeder Situation etwas Interessantes findet und es, wie ich meine, kreativ beschreibt.

Beß, die Australierin, ist hingegen praktisch veranlagt und sorgt für das leibliche Wohl der Familien. Sie träumt von einem Ritter, den sie eines Tages findet. Ihre Träume erfüllen sich und sie begegnet einem jungen Arzt, der von ihrem Mut und ihrer Stärke so angetan ist, dass er bald bei einem Wiedersehen sich – scheu und schüchtern – dann doch den Mut findet, um ihre Hand anzuhalten. Und dass noch am gleichen Tag die Trauung stattfindet, zeugt von klarer Absicht.

Dann gibt es noch das chinesische Mädchen, die davon träumt, Mutter zu werden. Ihren Traum kann ich am besten nachvollziehen. Denn auch ich träumte schon ganz früh den Traum von Kindern und Familie. Kun Dui wird einmal einen jungen Chinesen heiraten, der bereits vorneweg für sie bestimmt ist. Sie nimmt ihr Schicksal an. In ihrer Kultur gilt es, nach außen hin völlig ruhig und allen höflich zulächelnd das Leben anzunehmen. Ihr Name befahl ihr immer die heitere Ruhe zu sein, die nichts zu erschüttern vermag. So schreibt die Autorin immer wieder in so poetischen Formulierungen.

Ich komme jetzt zu dem auf Vanikoro einheimischen Inselkind Naviti. Sie ist im wahrsten Sinne ein Naturkind. Ihr sind Hemmungen fremd und so umwirbt sie einen europäischen Mann, der Gatte und Vater ist und ein “hoher Kommissar”. Sie wird ihren Traum weiterträumen, denn er gibt seinen unerlaubten Wünschen nicht nach. Als dieser Mann stirbt, trauert Naviti auf ihre Weise. Sie singt ein Lied: «Mein Vogel, mein weißer Vogel – O i lele … o i lele …» Sie glaubt, dass er bei Riffgeistern zurückbleibt und nicht zu den Geistern der Seinen zurück kann. Ihre Augen leuchten und sie spricht zu ihren Freundinnen. Im Leben war er für viele andere da, “… mein weißer Vogel …”. Im Tode gehört er mir.

Gerne hätte ich dieses Buch in meiner Jugend gelesen.