21. März 2025

Martin Eden

Autobiographischer Roman von Jack London (1876-1916)

Der Kampf um die Frau seines Herzens

Gegen Ende des Buches wurden die von mir “in einem Rutsch” gelesenen Abschnitte immer kürzer. Nicht, weil ich es langweilig oder öde fand. Ganz im Gegenteil – ich wollte noch möglichst lange an diesem Buch festhalten.

Ja, so kann ich in drei Sätzen beschreiben, wie sehr mir die Geschichte des jungen Seemannes Martin Eden gefiel. Er ist ein kraftstrotzender Bursche von 21 Jahren, in die Klasse der Armen hineingeboren, der aufgrund der Liebe zu einer jungen Frau aus der “besseren” Schicht sein Leben umkrempelt, einen ungeheuren Bildungshunger entwickelt mit dem hauptsächlichen Ziel, zu seiner Traumfrau “aufzusteigen” und so ihnen beiden eine Heirat zu ermöglichen.

Das ist im Wesentlichen der Extrakt des Buches oder zumindest der Anstoß zum Start der Schriftstellerkarriere des Martin Eden, deren Ausgang von Jack London so tragisch inszeniert wurde.

Verschiedene Buchausgaben
Es erscheinen ja hin und wieder Neuübersetzungen von Jack Londons Büchern, so auch bei Martin Eden. Ich selbst stehe eher auf die alten “originalen” Übersetzungen. Bei Jack London sind es i.d.R. die von Erwin Magnus, der die Rechte zuvor exklusiv von der Witwe des Schriftstellers erworben hatte.

Im Falle von Martin Eden besitze ich sogar zwei unterschiedliche Übersetzungen: eine von Erwin Magnus aus dem Aufbau-Verlag Berlin 1956 (ehemals DDR) und eine aus dem Jahre 1996 von der XENOS Verlagsgesellschaft mbH, übersetzt von Leni Sobez. Die Übersetzung von Leni Sorbez ist tatsächlich auch eine Kürzung, denn sie bereitete den Roman für eine Adaption als Jugendbuch auf. Es stehen 256 versus 455 Seiten und dabei enthält der Buchsatz der längeren Magnus-Ausgabe noch nicht mal weniger Text pro Seite. Siehe dazu den Foto-Vergleich. Die Jugendbuchausgabe enthält zudem noch ein Reihe schöner Ganzseitenillustrationen.

Jack London und Liebesromane
Porträt Jack Londons
Was ich bisher nie bei Jack London fand waren gefühlvolle, tiefergreifende Schilderungen über Liebesdinge. Ich wußte gar nicht, dass er es überhaupt kann. In Der Seewolf ließ er eine gute Gelegenheit dazu verstreichen, wo wahrscheinlich die meisten Leser erwartet haben, dass ein Mann und eine Frau (die sich offensichtlich mehr als gern haben) gemeinsam auf einer einsamen Insel einen Autor dazu zwingen würden. Doch London verzichtete dazumal (Der Seewolf wurde 1904 veröffentlicht) offenbar bewußt darauf. Vermutlich um seine wichtigste Aussage, die Gedanken und Beweggründe des sterbenden Wolf Larsen nicht abzuschwächen, nicht in einer parallel existierenden (bewegenden) Liebesgeschichte untergehen zu lassen. Aus meinem jetzigen Verständnis heraus, also nach der Lektüre des Martin Eden (geschrieben 1907/1908), erkenne ich, er kann es sehr wohl und meisterhaft, wenn er es will und es für angebracht hält.

Noch viel mehr verzichtete er auf nahegehende zwischenmenschliche Texte in seiner persönlichen Reisebeschreibung Die Reise mit der Snark, die er zusammen mit seiner Frau Charmian unternahm. Dort rührt dieser Verzicht auf eine leserwirksame Liebesgeschichte zwischen den Ehepartnern sicher wesentlich auch daher, dass Jack London seine eigene ganz offensichtlich persönlichen Gefühle nicht unbedingt an die Öffentlichkeit kehren wollte.

Den Martin Eden schrieb Jack London übrigens während der ersten beiden Jahre auf der Snark, als die Londons gemeinsam auf der Snark unterwegs im Pazifik waren.

Doch Martin Eden ist im Gegensatz zu den Texten über die Reise mit der Snark ein Roman, eine fiktive Gestalt. Wenn auch aus Motiven aus Jack Londons Jugendleben erstellt. Hier bewies der Autor, dass er nicht nur Abenteuerschriftsteller war, sondern ebenso die Klaviatur der (Liebes-)Gefühle virtuos beherrscht.

Der Glaube an Etwas, der Glaube an Jemanden, der Glaube an sich selbst
Jack London lernend über einem dicken Buch
Über die eigene Sicherheit zu wissen, etwas erreichen zu können: Eine der vielen tiefsinnigen Stellen des Romans ist meiner Ansicht nach die Stelle, als Martin seine Freundin Ruth über ihre Meinung zu seiner Eignung als Schriftsteller befragt und dabei ganz deutlich offenbart, dass er sich seiner sicher ist (im Gegensatz zu Ruths Einschätzung). Auch wenn er derzeit noch keinen Erfolg mit seiner Literatur hat. Es ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Menschen, die unbeirrt auf ihren Erfolg zuarbeiten und an sich glauben, auch wenn es sonst keiner (in ihrem eigenen Umfeld) tut.

Folgende Kurzzitate aus dem Buch sind nur zwei von unzähligen Hinweisen, die Martins Sicherheit diesbezüglich dokumentieren:

“Eines Tages”, tröstete er sich, “werde ich es sein, der ihnen [den Zeitungen, die seine Erzählungen kaufen] den Preis diktiert.”
“Ich war meiner – bin meiner so sicher”, schloß er. “In einem Jahr werde ich mehr als ein Dutzend Postbeamte verdienen. Wart es nur ab.”

Die folgende Szene zwischen Ruth und Martin werde ich in diesem Zusammenhang wegen dieser Wichtigkeit als eines der zentralen Themen des Buches hier zitieren:

Sie brauchte nicht lange zu warten. Martin hatte ihr selbst eine Frage zu stellen. Er wollte wissen, wie weit ihr Glaube an ihn ging, und ehe die Woche um war, waren beide Fragen beantwortet. Martin hatte es sehr eilig, ihr seinen Aufsatz »Die Schande der Sonne« vorzulesen.
»Warum wirst du nicht Journalist?« fragte sie, als er fertig war. »Du liebst das Schreiben so, und ich bin sicher, daß du es zu etwas bringen und dir einen Namen machen würdest. Es gibt doch eine ganze Reihe großer Sonderkorrespondenten. Sie werden hoch bezahlt, und ihr Feld ist die ganze Welt. Sie werden überall hingeschickt – ins Herz von Afrika, wie Stanley, zu einem Interview des Papstes oder zur Erforschung des unbekannten Tibet.«
»Dann gefällt dir also mein Essay nicht?« fragte er. »Du glaubst, ich hätte Aussichten als Journalist, aber nicht in der Literatur?«
»Nein, nein, es gefällt mir sehr gut Es liest sich gut Aber ich fürchte, daß die meisten deiner Leser es nicht verstehen – ich jedenfalls verstehe es nicht, so schön es auch klingt. Deine wissenschaftliche Ausdrucksweise ist mir zu hoch. Du gehst immer zu weit, Liebling, und was dir ganz einfach erscheint, ist uns andern vielleicht nicht so verständlich.«
»Ich kann mir denken, daß die philosophische Ausdrucksweise stört«, war alles, was er sagen konnte. Sein ganzes Wesen war durch das Vorlesen des reifsten Gedankens, dem er bisher Ausdruck verliehen, in Brand geraten, und ihr Urteil lähmte ihn.
»Laß es noch so armselig geschrieben sein«, beharrte er; »aber siehst du denn nicht, daß etwas darin steckt – in dem tragenden Gedanken, meine ich?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein; es ist so anders als alles, was ich gelesen habe. Ich lese Maeterlinck und verstehe ihn – .«
»Seinen Mystizismus – den verstehst du?« fiel Martin ihr ins Wort.
»Ja, aber deinen Mystizismus, der ein Angriff auf ihn sein soll, den verstehe ich nicht. Natürlich, was Originalität betrifft –«
Er unterbrach sie mit einer ungeduldigen Handbewegung, schwieg aber. – Plötzlich merkte er, daß sie schon eine Weile sprach.
»Alles in allem ist das Schreiben eine Spielerei für dich gewesen«, sagte sie. »Aber jetzt hast du sicher lange genug gespielt. Es wird Zeit, daß du das Leben ernst nimmst – unser Leben, Martin. Bisher hast du ausschließlich dein eigenes gelebt.«
»Du willst, daß ich eine Stellung annehme?«
»Ja, Vater hat dir angeboten –«
»Ich weiß das alles«, fiel er ihr ins Wort. »Aber was ich wissen will, ist, ob du den Glauben an mich verloren hast oder nicht?«
Sie drückte ihm schweigend die Hand, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»An dein Schreiben, Liebling«, gab sie fast flüsternd zu.
»Du hast eine Menge von dem, was ich geschrieben habe, gelesen«, fuhr er hart fort. »Wie findest du es? Ist es vollkommen aussichtslos? Wie ist es im Vergleich mit dem, was andere Männer geschaffen haben?«
»Aber die verkaufen ihre Arbeiten doch, und du … nicht.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Glaubst du nicht, daß ich zum Schriftsteller berufen bin?«
»Also dann will ich dir antworten.« Sie nahm alle Kraft zusammen. »Ich glaube nicht, daß du schriftstellerische Begabung hast. Verzeih‘ mir, Liebling. Du zwingst mich, es zu sagen, und du weißt, daß ich von Literatur mehr kenne als du.«
»Ja, du hast dein Examen gemacht«, sagte er nachdenklich. »Da mußt du natürlich Bescheid wissen.«
»Aber das ist nicht alles«, fuhr er nach einer Pause,

Quelle bzw. hier weiterlesen: Projekt Gutenberg, «Martin Eden», Kapitel 6

Männlichkeit
Er begann in die Geheimnisse der Sprache einzudringen, und all ihre Schönheit und all ihre Herrlichkeit, für die seine Lippen jahrelang keinen Ausdruck hatten finden können, strömte jetzt in einem alles besiegenden männlichen Reichtum hervor.

Quelle: Projekt Gutenberg, «Martin Eden», Kapitel 11
Bei Jack London spielt das Thema Männlichkeit ja meist eine große Rolle, weshalb Claudia seine Literatur auch oft “Jungens-Büchern” zuordnet. In Martin Eden rückt der Autor diese Frage ebenfalls in ein deutliches Licht, beispielsweise wenn es um das Verhalten von Männern unter Männern geht – im Gegensatz zu dem Auftreten von Martin Eden gegenüber seiner großen Liebe Ruth oder deren Familie. Ich selbst finde das Thema Männlichkeit enorm wichtig, gerade in der heutigen Zeit, in der die Familie immer mehr in den Hintergrund tritt (und offenbar auch treten soll) und in der die “Eliten” lieber leicht manipulierbare Waschlappen anstelle von Männern sehen wollen.

Jack London ein Sozialist?
Das Buch geht u.a. auf philosophische Themen ein und im Gefolge dieser er­war­tungs­gemäß auch auf poli­tische Gesichts­punkte. Wenn man im Vorfeld bereits hier und da etwas über Jack London gelesen hat, dann gibt es ein paar Biographen oder Kritiker, die London als Sozialisten sehen. Insbesondere deshalb, weil er als junger Mensch die schlechte Bezahlung für Arbeits­leistung als eine der größten Ausbeutungen der Menschen am eigenen Leibe erleben musste und dies auch in seinen Schriften thematisierte. Doch wenn man einerseits sein Werk Martin Eden als einen auto­biografischen Roman auffasst, in dem der Protagonist übrigens ebenfalls als Arbeiter in einer Hotel­wäscherei bis auf die Knochen ausgebeutet wird, und dann folgende Text­passage aus eben demselben Roman (Martin Eden) liest, dann kann man diese Ein­schätzungen der Biografen nur noch als sozialistische/kommunistische Propaganda verstehen:
“Ich meinerseits bin ein entschiedener Gegner des Sozialismus, genau so, wie ich ein entschiedener Gegner ihres Bastards von Demokratie bin. Der ist nichts als ein Pseudo-Sozialismus, der unter einem Deckmantel von Worten auftritt, Worten, die der Begründung eines Lexikons nicht standhalten.”

Quelle: Projekt Gutenberg, «Martin Eden», Kapitel 13

Fazit
Der ursprünglch gewählte Titel oder auch Arbeitstitel für dieses Buch war Success. Und genau darum ging es, exzellent aufbereitet. Beim Lesen fand ich es schade, dass mir dieses Buch nicht bereits als Teenager in die Hände kam. Denn möglicherweise hätte es mir bereits in jungen Jahren gelehrt, meine eigenen (beruflichen) Ziele und Träume bereits viel früher und vor allem selbstbewußter zu verfolgen.

Die Liebesgeschichte zwischen Martin und Ruth entspricht m.E. einer Jugendliebe (auch wenn Martin bereits über 20 Jahre alt ist und Ruth etwa 25/26) und passt damit noch viel besser in den Lesestoff eines heranwachsenden Menschen.

Insgesamt eines der gelungensten (Jugend-)Bücher, die ich kenne. Denn es heißt ja immer, durch Lesen kann man nur Lernen. Und ich würde sagen, auf diesen Roman trifft das ganz besonders zu. Wie gesagt, ich kannte das Buch als junger Mensch noch nicht, doch wenn meine Enkelkinder ins Teenageralter kommen, werde ich ihnen dieses Buch vielleicht einmal als Geschenk auf den Gabentisch legen.

Zum traurigen Ausgang des Buches und zu Jack London selbst
Wir wissen ja nun schon längst, dass sich Martin Eden am Ende des Romans das Leben nimmt (bei einem äteren Klassiker darf man solche Dinge vielleicht im Vorfeld schon verraten, da sie den meisten Lesern ohnehin ebenfalls im Vorfeld des Lesens bekannt sein dürften). Dies halte ich nicht für “lernenswert”, doch brachte es mich wiederum zum Nachdenken über das Leben des Schriftstellers J. London und insbesondere über dessen frühen Tod im Alter von 40 Jahren. Manche schreiben, London hätte einen Suizid begangen (so auch im Nachwort meiner Ausgabe von Martin Eden [Aufbau-Verlag Berlin, 1956]). Primäre Quellen dafür habe ich bisher nicht gefunden und es auch bisher nie geglaubt, vielleicht auch nicht glauben wollen. Das Ende dieses autobiografischen Romans könnte andererseits einen späteren Selbstmord des Autors nahelegen, jedoch passt das Motiv m.E. überhaupt nicht. Zumindest kann ich es im Falle Martin Edens nicht nachvollziehen, was wenn überhaupt mein einziger wirklicher Kritikpunkt an diesem Roman ist. Beim Erfolgsautor Jack London geht ein Selbstmord schon gar nicht in meinen Kopf. Erst recht nicht, wenn ich mir Jack Londons Leben auf seiner Farm Glen Ellen betrachte, wo er mit seiner zweiten Ehefrau Charmian ein offenbar erfülltes, glückliches Dasein führte.

Exkurs: Jack London’s Farm in Glen Ellen

Glen Ellen ist Jack Londons letzter Landwohnsitz in Kalifornien, wo ihm zusammen mit Charmians Onkel bei einem Bad im Pool die verwegene Idee zu dieser Segelkreuzfahrt kam. Claudia und ich besuchten in unserem Film Entlang der Straßen Kaliforniens diesen weitläufigen Landsitz von Jack und Charmian London. Einen kleinen Videoclip darüber könnt ihr hier ansehen:

Video: Jack London's Landsitz in Glen Ellen
 

Zur Abrundung hier ein paar weitere (Video-)Rezensionen aus dem Netz

PS: Hier ein Videoclip von Literaturcafé zu dem Buch Martin Eden (eine Neuübersetzung):

Hier ein Videoclip von «Literaturcafé» zu dem Buch «Martin Eden» (eine Neuübersetzung)
 

PS: Hier ein Videoclip von Literaturcafé zu dem Buch Martin Eden (eine Neuübersetzung):

Videobesprechung von Horst-Dieter Radke
 

PS: Hier ein Videoclip von Literaturcafé zu dem Buch Martin Eden (eine Neuübersetzung):

Video-Besprechung von Tadeas Cibula
 

PS: Hier ein Videoclip von Literaturcafé zu dem Buch Martin Eden (eine Neuübersetzung):

Video-Besprechung von Carmen Lüßmann
 

siehe auch hier: https://www.literaturcafe.de/martin-eden-von-jack-london-rezensionen-videos/