02. April 2023

Ein Sohn der Sonne

Mehrere Südsee-Novellen von Jack London (1876-1916)

Geschichten aus dem Korallenmeer

Eine irgendwie befremdlich li­te­ra­rische Südsee-Sammlung Jack Londons, wie ich finde. Zu keinem Zeit­punkt wurde ich warm mit den Ge­schich­ten, vor allem nicht mit den Charakteren.

Buch-Hinterseite von «Frisco Kid»

Die Hauptfigur in diesen Erzählungen stellt David Grief dar, der «Sohn der Sonne». – Naja, dieser David Grief stellt wohl nochmals oder gar noch viel eher Nietsches Übermensch dar, den Jack London uns es bereits beim Seewolf dargestellt hatte. David Grief fehlt jedoch die Tiefe: er ist ein reicher, aber auch verwegener Reeder, ihm gelingt alles, die ganze Südsee kennt ihn und raunt “Oho, da kommt der großartige David Grief, dem immer alles gelingt … ” wenn er auftaucht. Doch ohne jedwede Philosophie, ohne jedweden Gedanken hinter seinern Taten bleibt er und die Geschichten in der Südsee lediglich flach. Ja, es geht um Abenteuer, Faustkämpfe, Schießereien, um grausame Riten und Opfer der Menschfresser auf den Salomonen und weiss der Teufel um was noch.

Andreas Nohl, ein neuerer Übersetzer der Südseegeschichten schreibt über Jack London:

In gewisser Weise hatte er den Nietzscheanischen Vulgärmythos vom Übermenschen (Overman oder Superman) zur eigenen Lebensmaxime erhoben. All dem haftete etwas ebenso Zwanghaftes wie Überlebensgroßes an, eine übersteigerte Version des amerikanischen Optimismus.

Es sterben bei diesen abenteuerlichen Kämpfen auch immer wieder Menschen bzw. es wird ständig auch innerhalb dieser Erzählungen davon erzählt. Berührt hat mich das nur an ganz wenigen Stellen. Es ist eine Abfolge von Abenteuerlichkeiten. Punkt.

Die Südseegeschichten Jack Londons aus der “David Grief-Sammlung”, so wie ich sie hier mal nennen will, (Südseegeschichten von London gibt es darüber hinaus noch weit mehr, als die unter dem Titel Ein Sohn der Sonne erschienenen), sind Folgende:

  • Ein Sohn der Sonne: Die einleitende Geschichte, in der uns David Grief (ein wenig auch als Übermensch) vorgestellt wird.
  • Aloysius Pankburns wunder Punkt: Der harte, erzieherische Umgang David Griefs mit einem jungen Alkoholiker, der dadurch wieder zu einem besseren Menschen wird.
  • Die Teufel von Fuatino: David Grief gegen europäische Piraten in der Kulisse der Salomon-Inseln.
  • Die Witzbolde von Neu-Gibbon: Eine der grausamsten Geschichten: einer der wilden alternden Häuptlinge von einer der Salomoninsen wird vorgestellt.
  • Eine kleine Abrechnung mit Swithin Hall: Die in der Südsee weithin berühmte aber deren Position unbekannte Insel des Swithin Hall wird gefunden. Aus dieser Erzählung stammt übrigens der “Kerninhalt” des 4. Teils des oben genannten Fernsehvierteilers.
  • Ein Abend in Goboto: Ein Kartenspielabend. “Spielschulden sind Ehrenschulden” sagt ein bekannter Ausspruch. Jack London läßt seinen Sohn-der-Sonne-Helden David Grief wieder einmal erzieherisch wirken und bringt bei der Gelegenheit dem Leser wiederum seine Werte nah, Zitat:
    “Ein Mann hat nicht das Recht, weniger als ein Mann zu sein. Nicht einmal für zehntausend Pfund kann er sich dieses Recht erkaufen.”
  • Federn der Sonne: Die Insel Fitu-Iva (es ist die Marquesas-Insel Fatu Hiva gemeint, und damit neben Parlays Perlen eine Ausnahme unter den Sohn-der-Sonne-Erzählungen) erlangt ein Betrüger Einfluss, welcher mit Duldung des stets betrunkenen Häuptlings wertloses Papiergeld einführt.
  • Parlays Perlen: Sturm am Ankerplatz in den Paumotus (=Tuamotus): der alte Parlay auf einer der Inseln lud zu einer Auktion seines über die Jahre angehäuften Perlenschatzes. Doch fast alle Schiffe werden am Auktionstag von einem Wirbelsturm zerstört.

    Dieser Vorgang ist als Rache des alten französischstämmigen Parlay (der laut Inselbewohner Stürme heraufbeschwören könne) gegen alle weißen Männer zu werten. Der Grund: Armande, seine Tochter aus seiner Ehe mit einer Inselkönigin (die bereits verstorben ist), wird von der weißen Gesellschaft Papeetes abgewiesen, weil sie Mischling ist. Verzweifelt nimmt sie die Freundschaft eines französischen Leutnants an, der sie lediglich benutzt und dann verstößt. In ihrer Verzweiflung nimmt sie sich das Leben. Parlays daraus resultierender Wahnsinn fixiert sich auf einen Hass auf alle weißen Männer:

    Er vergißt es ihnen nicht, daß sie sie töteten, wenn er auch manchmal vergißt, daß sie tot ist.

    Interessantes Detail am Rande, Zitat:

    Wie kam es, dass der Orkan im Jahre einundneunzig Auri und Hiolau wegriß?
    Tja – der Klimawandel war es damals sicher noch nicht, der ist erst in unserer Neuzeit für alles Naturübel verantwortlich …

Fazit

Komplett durchgelesen habe ich diese Geschichten tatsächlich nur aus einem Grunde: um die Ähnlichkeiten bzw. Szenen zum vierten Teil der Fernseh-Abenteuerserie Der Seewolf zu finden (1971). Fündig geworden bin ich ja und nein: ein paar Filmpassagen stammen tatsächlich aus diesen David Grief-Geschichten. Jedoch ist die gesamte Geschichte von Teil Vier der Fernsehserie vom damaligen Drehbuchautor und begeisterten Jack London Fan Walter Ulbrich (meiner Meinung nach sehr genial) zusammenerfunden worden. Er nahm quasi Fetzen aus vielen einzelnen Jack London-Erzählungen und zauberte daraus eine eigene, in jedem Falle aber faszinierende Wendung in seinem zauberhaften Fernseh-Vierteiler.

Trotz der oft fehlenden Spannung: einige Stellen der Erzählungen bleiben mir stark im Gedächtnis. Dies insbesondere bei Die Witzbolde von Neu-Gibbon, was sicher an den Schilderungen über die grausamen Vorgehensweisen der Eingeborenen liegt. Das wühlt einen auf, zumal ich davon ausgehe, dass die Ideen zu diesen Geschichten von Jack Londons eigener Reise zu den Salomonen stammen (Die Reise mit der Snark), also der Wahrheit entsprechen und ich zudem Ähnliches bereits woanders las.

Von den drei Teilen (Joe unter den Piraten, Der Seewolf, Ein Sohn der Sonne) im vorliegenden Buch mit Raimund Harmstorf als Titelbild ist Ein Sohn der Sonne diejenige, die am meisten von den anderen beiden abfällt. Es fehlt die (dramaturgische) Herangehensweise, die mich als Leser mit einem der Protagonisten fiebern läßt. Also eher eine Enttäuschung. Es ist mehr so eine Erzählungssammlung eines “Zeitzeugen”, als den ich Jack London in diesem Falle tatsächlich betrachte.

Exkurs: Jack London’s Farm in Glen Ellen

Glen Ellen ist Jack Londons letzter Landwohnsitz in Kalifornien, wo ihm zusammen mit Charmians Onkel bei einem Bad im Pool die verwegene Idee zu dieser Segelkreuzfahrt kam. Claudia und ich besuchten in unserem Film Entlang der Straßen Kaliforniens diesen weitläufigen Landsitz von Jack und Charmian London. Einen kleinen Videoclip darüber könnt ihr hier ansehen:

Video: Jack London's Landsitz in Glen Ellen