14. September 2022

Schöne Ruinen

Roman von Jess Walter

Eine herzzerreißende und verrückte Liebesgeschichte

Das Buch ist mit über 440 Seiten ziemlich dick, ich habe es innerhalb von drei Jahren trotzdem zwei Mal gelesen. Das erste Mal für mich allein. Das zweite Mal mit Claudia innerhalb der “Veranstaltung” «wir lesen». Das Buch hat mir einfach so Klasse gefallen, dass ich es Claudia ans Herz “redete”, weil ich es mit ihr gemeinsam noch einmal lesen wollte.

Wie kam ich auf dieses Buch? – Nun, es war das Cover, das eine Küstenstadt am Mittelmeer abbildet. Dazu das auf alt getrimmte, zerkratzt wirkende Cover des Schutzumschlags, was mich an die “guten alten Zeiten” erinnerte, die ich natürlich selbstverständlich gar nicht selbst erlebte .

Tatsächlich entführt das Buch den Leser zuerst in das Jahr 1962, und zwar an das kleine Fischerdorf Porto Vergogne in der Cinque Terre, Riviera die Levante, südlich von Genua. Nicht weit von den bekannteren Touristenstädten wie Portofino an der eleganten Riviera die Ponente. Ihr merkt schon, ich werfe gerne mit diesen italienischen sehnsuchtsvollen Namen um mich, denn schon der Ort des Großteils der Handlung macht einen großen Teil vom Charme der gesamten sich über Jahrzehnte hinstreckenden Geschichte aus.

Ja, ihr habt richtig gelesen: Jahrzehnte. Genauer: über 60-70 Jahre. Das Buch besteht aus mehreren Handlungssträngen, die sowohl räumlich als auch zeitlich auseinanderdriften. Da ist das bereits erwähnte urspüngliche Fischerdorf in den frühren 1960ern (man kann es nur mit dem Boot erreichen). Schon finden wir uns in Hollywood wieder, 50 Jahre danach. Später dann lernen wir eine Gegend in La Spezia kennen und wir schreiben das Jahr 1945. 1846, Kalifornien. 1962, Rom. 2008, Edinburgh, Schottland. 1978, Seattle, Washington. 1967, wieder Seattle, Washington.

Meistens sind wir jedoch in dem kleinen Fischerdorf an er italienischen Riviera, im Jahre 1962. Am Anfang sind die Orts- und Zeitwechsel etwas verwirrend, man kennt ja die Zusammenhänge noch nicht. Und zudem tut Jess Walter, der Autor genau das, was alle guten Autoren tun (diese Gemeinen!): sie holen uns weg von einem Ort und in eine andere Zeit gerade in dem Moment, in dem wir am meisten, am dringendsten und am überlebensnotwendigsten unbedingt erfahren müssen, wie es genau an dieser Stelle weitergeht .

Hatte ich euch schon das Wichtigste erzählt? Dass es um eine Liebesgeschichte geht. Ok, eine unglückliche – vielleicht. Eine, die sich über 50 Jahre zieht. Hatte ich das getan?

Es geht um den Fischer Pascale, der am Anfang des Buches 18 Sommer zählt. Das war eben in diesem Jahr 1962. Und im Jahr “unlängst” (das Buch erschien 2013), da treffen wir ihn wieder. Das er jetzt ein alter Mann ist, liegt auf der Hand. Ein erfülltes Leben liegt hinter ihm. Und nach all seinem gelebten Leben ging ihm eine alte Liebe nicht aus dem Herzen. Habe ich jetzt zuviel verraten? – Ich hoffe nicht, denn Jess Walters Schreibkunst solltet ihr auch mal selbst als Leser ausprobieren.

Fazit

Wer gern träumt vom Meer, gar vom Mittelmeer, von Ursprünglichkeit, von italienischer Lebensart, der wird mit dem Porto Vergnone 1962 bestens bedient.

Wer gern mitfiebert mit zwei Liebenden, oder noch nicht Liebenden oder sich nicht findenden oder sich aus den Augen verlierenden Liebenden, für den ist das Buch auch etwas.

Wer sich gern mitreißen läßt von großartiger Erzählkunst, von einer raffinierten Geschichte, einem noch raffinierterem Handlungsaufbau, der wird dieses Buch ebenfalls mögen.

Habe ich übrigens schon erwähnt, dass ihr im Buch Richard Burton und Liz Taylor begegnen werdet (ja, genau den beiden noch heute sehr bekannten Filmstars aus der Glanzzeit Hollywoods).

Ich jedenfalls werde den Band nicht ins Antiquariat geben, denn auch ein drittes Mal werde ich mir das Buch sicher wieder einverleiben. Irgendwann, wenn ich an einem Winterabend im Bücherregal stöbere und mir das Buchcover mit dem Riviera Motiv an der sonnenverwöhnten Küste der Cinque Terre ins Auge fällt. Ich kann da gar nicht anders. Und bis dahin wird es ganz bestimmt keine 50 Jahre mehr dauern .