Der Wind weht eher schwach, wir kreuzen uns langsam nach Norden. Kein Zeitdruck beherrscht uns. In der kommenden Nacht wollen wir ankern. Ankerbuchten gibt es hier genügend. Auf Sestrunj oder Sverinac zum Beispiel. Als der Wind immer mehr nachlässt, nehmen wir den Motor zur Hilfe. Wir bewegen uns nahe dem Südzipfel von Sverinac, als unsere Nasen das Gefühl nicht loswerden, dass es etwas verschmort riecht. Schnüffelnd taste ich mich den Niedergang hinab. Dort meldet mein Riechkolben auch schon einen etwas stärkeren Schmorgeruch. Nach Entfernen der Niedergangstreppe sehe ich, dass es um den Motor herum leicht qualmt. Der Motor kocht. Die Wanne unter dem Motor ist voll mit dunkelbraunem Wasser. Was ist denn das nun schon wieder! Der Motor hatte doch schon zweimal seine Auszeit. Was will er denn jetzt?
Ich rufe den Vercharterer an. Vielleicht kennt er das Problem und kann uns einen Rat geben.
Nein, kennt er nicht. Sein Rat ist, in eine Marina mit Werkstatt zu fahren. Laut Hafenhandbuch ist die nächste Marina mit Reparaturwerkstatt Iž Veli. Da kommen wir geradewegs her. Also Motor aus und mit Segel zurück. Der Wind weht jetzt achterlich, wenn auch nur schwach. Es sind neun Seemeilen zu fahren. Das werden wir in etwa drei Stunden geschafft haben. Dann ist es siebzehn Uhr. Wir wissen, dass die Marina am Abend randvoll wird. Es ist Hochsaison. Werden wir noch einen Liegeplatz bekommen?
Fünfzehn Minuten vor dem Ziel werfe ich den Motor wieder an. Bis dahin wird er es wohl bequem schaffen. Mit Segel und Motor nähern wir uns der Hafenzufahrt. Kurz davor kommen die Segel runter und wir motoren in die Hafeneinfahrt. Der Motor stinkt jetzt auf einmal bis hinauf in unser Freiluft-Cockpit. Er ist schon wieder zu heiß. Nah am Niedergang schweben leichte Rauchwölkchen empor.
‚Lieber Motor, halte durch, nur noch bis zur Pier!‘ bete ich fast schon. Anscheinend hört niemand das Gebet. Denn der Motor quittiert seinen Dienst just in diesem Moment. Wir befinden uns im vorderen Hafenbecken, wo sich auch einige Schwimmer tummeln. Unsere Dufour hat noch Fahrt voraus. Doch bremsen kann ich sie nicht mehr. Backbords ist Flachwasser, steuerbords ein Schwimmbecken und geradeaus erwartet uns irgendwann die harte Hafenmauer. Oder schlimmstenfalls andere Boote und ein Versicherungspapierkrieg. Also reiße ich rasch die Pinne herum. In der Hoffnung, der Vortrieb wird noch genügen, um Cleo aus dem Hafenbecken und vielleicht sogar aus der Hafenzufahrt heraus zu manövrieren. Damit wäre die akute Kollisionsgefahr erst mal gebannt.
Die aktuelle Schiffsposition ist windgeschützt. Der vorhandene Wind ist gerade einmal Null, Niente, Nischta. Das ist normalerweise gut für eine Hafeneinfahrt. Ein Fischer tuckert mit seinem kleinen Boot ins Becken. Claudia wedelt im ersten Schrecken, in Geistesgegenwart und in Hilflosigkeit gleichzeitig in seine Richtung. Es ist ein Notfall. Der freundliche Fischer steuert sofort auf Cleo’s Heck zu. Er hat unser unsinnig erscheinendes Manöver bereits beobachtet.
„What can I do for you?“ ist seine hilfsbereite Frage.
Ich erkläre ihm unser Missgeschick kurz, denn er könnte uns in den Hafen reinschleppen.
Unterdessen bewegt sich Cleo mit ihrer Restgeschwindigkeit langsam weiter in Richtung Hafenausfahrt. Und jetzt spüre ich es wieder: ein stärker werdender Lufthauch im Gesicht. Wir fahren also in eine Richtung, wo der Wind wieder hinblasen kann. Ich ziehe die Genua heraus und spüre, wie das Schiff langsam Schub bekommt und seine Fahrt aufnimmt. Dem Fischer erkläre ich, dass wir den Motor jetzt auf See etwas abkühlen lassen. Vielleicht könnten wir dann in einer Stunde aus eigener Kraft in den Hafen einlaufen. Und vor allem auch das Anlegemanöver aus eigener Kraft vollführen. Denn wie das Anlegen nach dem Schleppen klappt, weiß ich nicht. Das hatte ich noch nicht in meiner doch sehr kurzen Segellaufbahn.
Mit gereffter Genua und ohne Großsegel segeln wir ein bisschen im Sredni-Kanal, ohne uns allzu weit von Veli Iž zu entfernen. Wir wollen ja nicht Strecke machen, sondern nur den überhitzten Motor abkühlen lassen. Die Treppe zum Niedergang, hinter der sich der Motor befindet, habe ich entfernt. Und auch die Backskiste ausgeräumt und die Zugangsklappe zum Motor herausgenommen. So kann er etwas schneller auskühlen, hoffe ich.
Nach einer Stunde erscheint mir der Volvo Penta kühl genug. Ich prüfe kurz: Lässt er sich starten? – Ja, er springt an. Sofort schalte ich den Motor wieder ab. Diesmal soll uns seine Einsatzbereitschaft erhalten blieben, bis Cleo sicher in der Marina liegt.
Wir laufen unter Segel ins Hafenbecken ein, ganz gemächlich. Die Vorschot in einer Hand, die Genua auf Handtuchgröße gerefft komme ich mir im Cockpit stehend vor wie ein Kutscher auf einer Droschke mit einem lauffaulen Ross. Doch wir bewegen uns vorwärts. Ich kann sogar noch die Vorschot lockern und abwarten, bis die zwei Motorboote, die uns unmittelbar an der Hafeneinfahrt noch überholt hatten, angelegt haben.
Kaum dass wir ahnen, welchen Platz der Marinero uns zuweisen wird, lasse ich die Vorschot sausen, werfe den Motor an – er kommt sofort! – und wir legen bei leichtem Seitenwind an. Der Motor hat uns nicht verlassen und wird von mir nun dankbar und zu seiner eigenen Schonung sofort wieder abgeschaltet.
„Na, alles gut gegangen?“ fragt uns unser neuer Liegenachbar von der österreichischen Calmera. Und Claudia erzählt ihm von unserem Schlamassel mit dem Motor. Er weiß auch gleich Rat:
„Das ist der Impeller, ganz sicher. Der Motor erhält nicht genug Kühlung.“
Er gibt noch ein paar Tipps zum Aus- und Einbau dieses Teils. Ich mache mich an die Arbeit und finde den Impeller tatsächlich mit zwei abgerissenen „Schaufelrädern“ vor.
„Sie sollten noch prüfen, wo die abgerissenen Brocken im Schlauchsystem sind. Die könnten anschließend Ihre Kühlung weiterhin blockieren.“ ist sein Rat. Und er weist mich ebenfalls darauf hin, dass ich den neuen Impeller dann nur noch richtig herum einbauen muss.
Brocken finde ich genug, direkt vorm Wärmetauscher haben sich die Gummiteilchen versammelt. Und zwar dreimal so viele, wie vom Impeller abgerissen sind. Der wurde also auch schon ohne Brockensuche gewechselt. Das Betriebshandbuch vom Motor schreibt, dass ein Ersatzimpeller unbedingt zur Schiffsausrüstung gehört. Also durchwühle ich die zwei Werkzeugkästen. Und werde fündig. Leider kein Impeller für unseren Volvo Penta 2020. Der vorhandene ist viel zu klein, sicher vom Vorgängermotor. Das kenne ich ja schon: das Handbuch schreibt ebenfalls, dass ein Keilriemen als Ersatz an Bord gehört. Den hätten wir ja schon auf Brac gebraucht, als wir in der Stipanska-Bucht unseren Dieselfilter und das abgerissene Fall unseres Vorsegel repariert bekamen. Da war auch kein Reserve-Keilriemen auf dem Schiff. Damals war der eingebaute Keilriemen bis auf zwei Drittel seiner üblichen Breite abgeschliffen. Ein Bald-Zerreißkandidat somit. Die Werkstatt hatte zum Glück einen passenden, wenn auch nicht ganz neuen Zahnriemen verfügbar. Werde ich hier ebensolches Glück haben?
Es ist Samstag Abend, die Werkstatt hier auf dem Marinagelände ist geschlossen. Im Marinabüro frage ich nach. Die junge Angestellte schaut mich verständnislos an. Werkstatt? – Ich zeige ihr das Werkstattgebäude nebenan, denn unsere Englisch-Konversation klappt nicht so gut. Sie schüttelt den Kopf, ich versuche es mit „Monday?“, worauf sie die Schultern zuckt und nicht so recht weiß, was ich will. Ich ahne schon: wir werden den Sonntag auch hier in der Marina abwarten müssen.
Zufällig treffe ich den Leiter dieser Marinazweigstelle. Er rät mir, zur Konoba Mandrac zu gehen, dort wäre ein Mechaniker.
Auf dem Weg zum Restaurant treffen wir unseren Liegenachbarn von der anderen Flanke unserer Cleo. Wir unterhalten uns über mein Motorproblem. Ich also ganz allwissend und technisch versiert: „Och, der Impeller ist kaputt.“
„Also ein typisches Standardproblem.“ ist seine kurze Antwort.
Habe ich richtig gehört – Standardproblem? Offenbar kennen alle dieses „Standardproblem“. Nur ich nicht? Das ist vielleicht blöd. Also antworte ich ganz eifrig (hoffentlich kommt es bei ihm auch so schlagfertig an):
„Ganz genau so ist es. Das kriegen wir auch schnell wieder hin!“ – Und wünsche mir dabei, dass meine Aussage wahr wird, denn ich weiß in diesem Moment noch nicht mal, wie rum richtig rum nun ist bei diesem sogenannten Impeller. Doch als Laie oder zumindest see-technischer Neuling will ich mich jetzt auch nicht outen.
Im Mandrac finde ich tatsächlich einen Mechaniker. Nur hat er keine Zeit, denn er ist der Koch des gutbesuchten Lokals. Wenn er als Mechaniker nur halb so gut ist wie als Koch, dann hat er Claudias und auch mein vollstes Vertrauen.
Er könne mir einen Impeller besorgen, am nächsten Vormittag jedoch erst. Das ist mir recht.
Der neue Impeller schaut links und rechts genauso aus. Wie herum ich ihn einbauen müsse, möchte ich vom „mechanischen Koch“ wissen.
„Das ist egal, bau ihn ein und dann läuft der Motor.“
Aha.
Der Einbau wird noch einmal ein kleiner Akt. Vor allem, als ich am Montag Morgen in die Werkstatt will, um mir Dichtungsmaterial zu besorgen. Und langsam dämmert es mir: hier gibt es zwar eine Werkstatt, aber die scheint immer geschlossen zu sein. Tolle Hilfe! Ein weiterer Schiffsnachbar von der MS Seebär kann mir Dichtungspappe geben, und Thomas von der Red Lagoon steuert Dichtungsfett, Know How und seine Arbeitskraft zum Ausschneiden des neuen Dichtungsringes bei. Na also, das ist doch Rundumservice hier in Iž Veli!
Nach Einbau des Ganzen scheint alles in Ordnung. Der Motor brummt, Kühlwasser tritt aus der Öffnung hinten am Schiff. Nur dass der Überlauf vom Motorkühlwasser unseres Zweikreiskühlsystems ununterbrochen Wasser in die Bilge laufen lässt. Braunes Wasser, welches mit der Zeit immer heller wird. Braunes Wasser! – Das hatten wir doch am Samstag schon gesehen.
Claudia geht noch mal zum Koch vom Mandrac. Er ist der Einzige, der uns jetzt vielleicht helfen kann. Ich mag nicht gehen. Er hat zwar zuverlässig mit seinem eigenen Reserveimpeller ausgeholfen, jedoch hat er mich jedes Mal nur schräg angebrummt. Er ist halt so, doch vielleicht ist er bei weiblichen Anfragen etwas aufgeschlossener.
Sie kommt zurück. Er hätte nie Zeit, jedoch kann er vielleicht die nächsten Tage jeweils morgens etwas reparieren. Dann wäre das Boot in etwa einer Woche wieder startklar.
Da denke ich mir: Nur gut, dass wir auf Langfahrt sind. Ein Wochentörn wandelt sich sonst ganz schnell in eine eingehende Hafenbesichtigung.
Und Claudia erzählt von ihrer Unterhaltung mit dem letzten Mohikaner Mechaniker. Was denn mit der Werkstatt in der Marina sei, will Claudia von ihm wissen.
„Alle Mechaniker sind in Rente.“ weiß der Ortsansässige zu berichten.
„Das gibt es doch nicht. Es müssen doch junge Leute dort arbeiten!“ wehrt sich Claudia gegen diese fast aberwitzige Aussage.
„Nein.“ Kurze Antwort, fertig.
Nach Erklärung unseres Problems mit dem überlaufenden Kühlwasser weiß der Koch auch gleich:
„Das ist die Zylinderkopfdichtung.“
„Können Sie nicht einmal nachschauen kommen?“ Claudia lässt nicht locker, sie will, dass uns geholfen wird.
„Da brauch‘ ich nicht gucken, das weiß ich auch so.“
Und dann folgt das sich garantiert ewig hinziehende Reparaturangebot des Mannes.
Das Angebot des Kochs nehme ich nicht an und beschließe, nach Mali Lošinj, der Heimatmarina von Cleo, zu fahren. Das durchlaufende Kühlwasser müssten wir dann eben während der Fahrt fast ununterbrochen aus der Bilge pumpen. Lošinj könnten wir bequem in drei Tagesetappen erreichen: Sestrunj, Premuda und schließlich die Marina von Mali Lošinj.
In Mali Lošinj wird eine Art Werkstattodyssee beginnen. Bloß gut, das wir das jetzt noch nicht ahnen.
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Claudias Fazit | |||||||||
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Für Skipper | |||||||||
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