02. Juli 2013

El Hierro: Die Hochebene und der Inselwesten

– Zweiter Tag –
Den Aussichtspunkt Mirador del Peña hatte ich gestern ausgelassen; er ist gar nicht allzu weit von der Tunneleinfahrt, wenn man von Valverde ins Tal fährt. Es ist Samstag kurz nach 9:00 Uhr und ich bin der einzige Besucher in der Gaststätte, von der man durch eine riesige Glasscheibe einen bevorzugten Blick über das Tal El Golfo hat. Der Wirt freut sich, ist an meiner Kamera interessiert und holt eine DVD hervor. In den menschenleeren Raum rückt er einen großen Fernsehapparat, dreht ihn akurat in meine Richtung und schon läuft eine zwanzigminütige (Werbe-)Dokumentation über die Insel. Wieder habe ich Anregungen bekommen. Man müßte aber allerdings doch wenigstens eine Woche auf der Insel bleiben. Soviel Zeit habe ich nicht kalkuliert.

 
Diese wunderschönen Blüten wachsen am Mirador de la Peña, einem Aussichtspunkt, der von Cesár Manrique angelegt wurde. Doch den schönsten Blick über das Tal El Golfo seht ihr rechts daneben. Das Bild entstand am Mirador de Jinama (1230 m), der ältesten touritischen Anlage der Insel. Hinter dem Aussichtspunkt steht eine alte Kapelle, von der ein Wanderweg hinab ins Dorf Frontera führt.

Von einer Hochebene fast wie im schottischen Grasland habe ich gelesen, sie heißt Meseta de Nistafe. Sie liegt im Nordwesten der Insel, ich bin jetzt nicht mehr weit entfernt. Vom Mirador de la Peña () kommend biege ich kurz vor Las Montanetas rechts nach Süden auf die Hi-120 ab und kraxele abseits von der Straße durch einen sonnenverbrannten länglichen Vulkankrater, wie ich annehme. Doch schottisch grün liegt hier nichts vor mir. Im Gegenteil, die knallige Sonne sorgt für vertrocknete Farben. Doch Pferde, Kühe und Schafe weiden auf den durch Steinmäuerchen getrennten Parzellen. Irgendwie hat es dann doch etwas von Schottland.

 
Auf dem Hochplateau Meseta de Nistafe blühen Mohnblumen wie inmitten von Europa. Wenn es auf den Sommer zugeht, brennt die Sonne auf die Ebene und die Flächen verwandeln sich in ausgedörrtes Ocker.

Einen belebten Touristikort soll es auf der Insel doch geben, wo Tauchschulen, Strand und mehrere Hotels sein sollen. Dieser Ort am südlichsten Zipfel der Insel hat einen Fischerhafen und heißt La Restinga (). Im Jahr 2012 machte der Ort von sich reden, als vor seiner Küste das Wasser brodelte. Gelbbrauner Schlamm breitete sich nur zwei bis drei Kilometer vor der südlichen Küste aus. Ein Unterwasservulkan war in 800 Metern Tiefe ausgebrochen. Diese Geschichte beschäftigte die Presse viele Monate lang (Wassergeburt – Vulkanausbruch vor El Hierro).

Ende Mai sitze ich am Hafen unter einem Sonnenschirm, verspeise ein superfrisches Fischgericht und schaue einem Fischer beim Reparieren seines Schiffsmotors zu. Am Steg legt gerade ein Segelboot an. Ruhig ist es im Ort, es sind die frühen Nachmittagstunden. Ein größeres Hotel steht am Ortsrand, das kein bißchen belebt ist. Mir scheint es hier genauso abgeschieden, wie anderswo auf der Insel. Vielleicht sogar noch mehr als anderswo.

 
Auf dem Weg hinunter nach La Restinga Hafen von La Restinga
Der Weg auf der Südseite führt durch Nadelwälder, die immer wieder schöne Blicke aufs Meer freigeben.

El Júlan ist der Name des südlichen Gebietes zwischen der Inselmitte und dem Westrand. Eine asphaltierte Piste führt von El Pinar durch den Wald nach Westen. Die oben mit langnadeligen Kiefern bestandenen Hänge fallen zum Meer hin ab, Bewohner gibt es hier keine.

Alle vier Jahre ziehen die Insulaner zu Fuß durch dieses Gebiet. Sie befinden sich dann auf dem Prozessionsweg, tragen die Inselheilige Virgen de los Reyes mühsam von ihrem Heiligtum auf der Dehesa, dem hochgelegenen Weideland der Hirten ganz im Westen, über alle Höhenzüge der Insel und die Dörfer bis nach Valverde.

Der Grund für diese Ehrung der Madonna ist leicht zu verstehen: im Jahre 1654 trugen die Hirten die Virgen zum erstenmal nach Valverde, da auf der Insel eine fürchterliche Dürreperiode herrschte. Und ein Regenwunder geschah, kaum dass die hölzerne Jungfrau Valverde erreichte. Das Wunder wiederholte sich mehr als hundert Jahre wieder. Wenn man weiß, wie sehr die Insulaner dieser isolierten Insel auf ihre landwirtschaftlichen Produkte angewiesen waren, dann versteht man die große Verehrung der Jungfrau nur zu leicht.

 
Das Heiligtum der Virgen de los Reyes Sturmerprobte Sabina von El Sabinar

Weiter westlich, nach den Kieferwäldern von El Júlian, geht die Straße am Heiligtum der Virgen de los Reyes vobei, das rechter Hand nicht zu übersehen ist. Weiß getüncht, von einer ebenso weißen Mauer umgeben steht die kleine Kirche samt Nebengebäude und blickt auf das unter ihr liegende Meer. Das Heiligtum liegt einsam in diesem entlegenen Weideland der Hirten. Die Hirten nahmen vor Jahrhunderten die Statue auch in ihre Obhut, als sie die Virgen im Tausch gegen Schiffsproviant von einem Segelschiff erhielten, dem die Vorräte ausgegangen waren. Die Weidezeit geht von Dezember bis April, wenn alles saftig und grün ist. Ende Mai sehe ich keine Tiere mehr.

Links neben dem Heiligtum der Virgen de los Reyes geht eine Piste bis zum Wacholderwald El Sabinar. Es sind drei bis vier Kilometer bis zum Parkplatz, von dem aus man den Rundgang zwischen den Zedernwacholderbäumen beginnt. Hartnäckig wiederstehen diese legendären Sabinas mit ihren unglaublich zerzausten Ästen und den verdrehten, knorzigen Stämmen den anstürmenden Passatwinden. Gebeugt, doch nicht besiegt. Sie sind ein Gleichnis für die hartnäckigen Menschen hier und sogleich Wahrzeichen der Insel.

 
Der Playa Verodal ist von Steinschlag bedroht Faro de Orchilla

Video: La Dehesa und der Leuchtturm am Ende der Welt
 

Auf der Straße HI-500 oberhalb des Faro de Orchilla düse ich vorbei am Leuchtturm (wie dumm von mir!). Es gibt noch den schönen Strand der Insel, Playa de Verodal, der von seiner geografischen Lage gesehen gerade im Abendlicht leuchten sollte. Genau das will ich auf den Kamerachip bannen und danach pünktlich zum Sonnenuntergang wieder das “kleine Stückchen” zurück, um dann am Leuchtturm zu stehen und ihn mitsamt des versinkenden Sterns zu filmen.

Am rotsandigen Strand kann ich wunderschöne Aufnahmen einfangen, unterhalte mich noch mit einem dort sitzenden Pärchen mit Hund. Früher wurde hier viel gegrillt, der Grillplatz ist noch da. Doch es wurden Risse an der steil darüberhängenden Felswand entdeckt und nun ist der Strand offiziell von Steinschlag bedroht. Kein empfehlenswerter Ort mehr.

Mit jeder verstreichenden Minute sinkt die Sonne tiefer ins Meer. Für die Strecke von oberhalb des Leuchtturms bis zum Playa benötigte ich über die serpentinenreiche schmale Straße (keine Leitplanken!) zwanzig Minuten. Also jetzt schnell zurück, wegen der Sonnenuntergangsbilder mit dem Faro de Orchilla.

Hätte ich lieber auf den Strand verzichtet und wäre ich besser gleich zum Leuchtturm gefahren. Jetzt stelle ich fest, dass von der befestigten Straße bis hinunter zum Faro eine knapp fünf Kilometer lange, sandige Holperpiste führt. Der Buckelweg läßt kaum mehr als Schritttempo zu und die Sonne setzt inzwischen fast am Meereshorizont auf. Als ich am Leuchtturm eintreffe ist sie weg, die Sonne. Doch immerhin stehe ich am ehemaligen Nullmeridian der antiken Welt. Mir wird auch klar, dass ich jetzt die gesamte Serpentinenstrecke bis zum Hotel Pozo de la Salud im Dunkeln zurückfahren muss.

Gegen 22:00 Uhr sinke ich müde ins Kissen.

Woher stammt der Name “Faro de Orchilla”?
Auf der schwarz-roten Lavaasche an der Westspitze El Hierros wächst die Orchilla-Flechte. Aus dieser Pflanze wurde vor 500 Jahren ein roter Farbstoff gewonnen. Die Pflanze mußte unter teilweise abenteuerlichen Umständen von Steilwänden geerntet werden. Doch in der mittelalterlichen Zeit gab es keine andere Möglichkeit, die teuren Stoffe des reichen Adels in tiefes Rot zu färben.

Nicht zu verwechseln mit der Cochinilla-Laus, die auf Teneriffa und insbesondere auch auf Lanzarote gezüchtet wurde und heute noch wird!

PS: Zum letzten, dritten Tag auf El Hierro gibt es nicht mehr viel zu schreiben, denn schon gegen 11:00 Uhr legte die Fähre zurück nach La Gomera ab.